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Prophezeien begabt sind und damit Wunder tun können. Unter uns befand sich auch ein ehrbarer Moskauer Herr, der Folgen des sagte: — Es ist nicht leicht, darüber ein Ur teil abzugehen, meine Herren: ob man im Glauben lebt oder nicht glaubt, — das wird von den verschiedensten Erfahrun gen, die man im Leben macht, beeinflußt; und es kann dabei häufig passieren, daß unser Verstand in Irrtümer fällt. — Nach dieser Einleitung erzählte er uns eine interessante Geschichte, die ich mit seinen eigenen Worten wiedergeben will: — Mein Onkelchen und mein Tantchen waren einmal eifrige Anhänger des ver storbenen Wundertäters Iwan Jakowle- witsch. Tantchen insbesondere unternahm nichts, ohne ihn vorher um Rat ge fragt zu haben. Zuerst pflegte sie immer zu ihm ins Siechenhaus zu gehen und sich mit ihm zu beraten, dann bat sie ihn, für ihre Angelegenheit zu beten. Onkelchen war bei gutem Verstand und verließ sich nicht so sehr auf Iwan Jakowlewitsch; in des schenkte auch er ihm zuweilen Ver trauen, trug ihm Geschenke hin und brachte Opfer für ihn. Sie waren keine reichen Leute, aber ganz gut gestellt und handelten mit Tee und Zucker im eigenen Haus. Söhne hatten sie nicht, dafür drei Töchter: Kapitolina Nikitischna, Katharina Nikitischna und Olga Nikitischna. Die waren alle recht an sehnlich und verstanden sich gut auf den Haushalt und mancherlei Arbeiten. Kapi tolina Nikitischna war verheiratet, aber nicht an einen Kaufmann, sondern an einen Maler. Er war indes ein sehr braver Mann und verdiente zur Zufrieden heit — er hatte immer vorteilhafte Auf träge, Kirchen auszumalen. Nur eins miß fiel der ganzen Verwandtschaft an ihm, nämlich, daß er trotz der gottgefälligen Werke, die er schuf, sich gewisse frei denkerische Ketzereien aus Kurganows „Briefsteller“ angeeignet hatte. Er sprach gern vom Chaos, von Ovid und Prometheus und hatte eine wahre Leidenschaft, Wirk liches mit Erfabeltem zu vermischen. Ohne diese Eigenschaft wäre er vortrefflich ge wesen. Außerdem mißfiel der Familie der Umstand, daß Kapitolina und der Maler keine Kinder bekamen. Das bekümmerte Onkelchen wie Tantchen außerordentlich. Endlich hatten sie die älteste Tochter glücklich unter die Haube gebracht, und nun war sie seit drei Jahren kinderlos! Die Freier begannen bereits, den beiden ändern Schwestern aus dem Wege zu gehen. Tantchen fragte nun den Wundertäter Iwan Jakowlewitsch, was daran schuld sei, daß ihre Tochter keine Kinder zur Welt brächte: — „sie sind doch beide jung und hübsch“, sagte sie, „und doch kriegen sie keine Kinder?“ Iwan Jakowlewitsch brummte: — „Denn ewig ist das Himmelreich, das große, ew’ge Himmelreich!“ Aus seinem Geflüster glaubte die Tante herauszuhören: „Es muß ein Kleingläubiger unter euch sein“, und daß der Vater ihrem Schwiegersohn befahl, zu Gott zu beten. Die Tante seufzte: „Alles“, sprach sie, „ist dem frommen Vater offenbar!“ Sie begann nunmehr dem Maler vor zustellen, daß er zur Beichte gehen solle. Der schlug die Ratschläge in den Wind und nahm alles auf die leichte Achsel... aß sogar zu den Fasten Fleisch und tat so — sie hörten es durch die W and —, als ob es Schnecken und Austern wären. Sie lebten alle in einem Haus, und oft grämten sie sich, daß in ihrer Kaufmannsfamilie solch ungläubiger Mensch sein mußte. 114