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groß. In der Tat so groß, daß — weil in Deutschland alles auch kunsttheorelisch Belegt werden muß — sich schon Theater ästhetiker gefunden haben, die dies als ganz natürliche Kunstentwicklung, als Wiedergeburt der Urform des Theaters: Farbe, Licht, Klang, Bewegung, begrüß ten. Aber die Lehren Craigs gerade auf das Revuetheater angewandt, das ist denn doch wohl ein gar zu schlecht gespielter Primitivismus. Und so haben denn auch von Anfang an die Gegenstimmen des Ent setzens nicht gefehlt, die wiederum nichts Geringeres als den endgültigen Untergang des Theaters beklagen. Das ist nach beiden Richtungen die stets viel zu weit gehende „Absolutheit“ aller Aestheten. Es ist nur halb so schlimm. Die Revue ist weder die primitivistische Wiedergeburt, noch der schmachvolle Tod des Theaters. Sie kam in der geistigen Erschlaffung der zehn jährigen Kriegsepoche zu einem leichten und leicht verständlichen Triumph, und mit der Besserung der Moral hat sie auch schon den Gipfel ihres Welterfolges über schritten. Nach Deutschland vollends ist ihre Wüste zu spät hineingewachsen, um an dieser Mutterstätte des geistigen Thea ters ernsthaften Schaden stiften zu können. Sie ist schon an ihren Wurzeln erkrankt, und in dem Augenblick, da wir sie erst kennen lernen, wird sie in ihrem englischen Heimatland schon überwunden! * In London gehört seit drei Jahren der Ilaupterfolg der Lnterhaltungsbühnen nicht mehr den „shows“, den Ilevuen — trotz des sardanapalischen Prunks des Hippodromes oder des Palladiums—son dern der Truppe der „C o - 0 p t i m i s t s“. Die Erklärung dieses (ganz nachdenk lichen) Namens wird man besser erst ge ben, wenn man gesagt hat, wer sie sind und was sie tun. Die Co-Optimists sind eine Truppe von sechs Herren und vier Damen. Sie mieten bald dies, bald jenes Revuetheater und treiben dort jede erdenkbare Art von dra matischem Ulk, den ganzen Abend lang. Sie sind nur zehn, nicht 5oo wie in den Revuen, an Dekorationen haben sie nur zwei Klaviere, zehn Stühle, einen Tisch mit weißem Tischtuch, ein paar Vorhänge, ein paar andeutende Kulissenstücke, und ihr Pierrot-Kostüm verändern sie nur zwei- oder dreimal durch einen Zylinderhut, einen Uniformrock oder einen Smoking. Und doch ist ihre vierstündige Unterhal tung genau so bunt schillernd, vielfältig, wirbelnd abwechslungsreich wie die teu erste Revue — nur noch viel lustiger, viel witziger, viel geistreicher! * Sie ersetzen die Revue der 5oo durch zehn . . . Persönlichkeiten. Sie treiben ein klein wenig Stilästhelik: sie gehen sich als die modernen Nachfolger der ersten eng lischen Theaterleute, der „comedians“, die wiederum die englischen Darbieler der „comedia del arte“ waren. Die,,comedians“ sind tatsächlich die echtest englische Form des Theaters, und ihre Truppen haben sich fast völlig unverändert in der englischen und amerikanischen Provinz bis heute er- 96