Volltext Seite (XML)
Doch am Abend, wenn die Schatten an den Gebäuden hinaufkriechen und die Sonne rot in der Steppe untergeht, stehen viele schweigend an den Fenstern. Dort draußen, fern, wo die roten Tafelberge über der Wüste dunkle Silhouetten bilden, liegen ihre Dörfer. Dort jagten ihre Väter und waren freie Männer. Sie hatten nicht auf das Schrillen einer Klingel hin zu irgendeiner Arbeit zusammen* zukommen. Sie wuschen nicht den Boden einer Küche, schliefen nicht hinter vergitterten Fenstern, sangen keine New Yorker Negerlieder, sondern uralte, heilige Gesänge, durch die sie die Götter freundlich stimmen konnten und die den Regen brachten. Sie wußten die alten Sagen zu erzählen. Von der Riesenspinne im Navajoland, die zwischen zwei Felsennadeln ihr Netz gespannt hatte und die vorübergehenden Wanderer darin fing, wie die beiden Huruing*Wuhti im Westen den ersten Menschen schufen, und vom Skelettmann, der schon lebte, als es noch keine Sonne gab, wie die Alten bei ihm das Licht machten und viele Geschichten mehr, die nun bald vergessen sind. Im Frühjahr, wenn die Schule geschlossen wird, stehen die Eltern in bunten Tüchern vor den Eisentoren und holen ihre Kinder ab. In den Lehmhäusern der Pueblos, im Hogahn der Navajos oder den Zelten der Apachen und überall dort, wo noch auf die alte Weise gelebt wird, erzählen sie von den Dingen, die der „Weiße Mann“ sie lehrt, und die Alten sitzen und schütteln den Kopf. Dann nehmen sie ihre Pferde und ein buntes Kopftuch und Mokassins mit silbernen Knöpfen und reiten singend gegen den Wüstenwind ihrer Heimat. Die dumpfen Trommeln dröhnen durch die Nacht, und die Knaben, geschmückt mit heiligen Adlerfedern, mit Silber und Türkis tanzen im gleichen Schritt mit den Männern. Die Stimme des Chors erhebt sich über die Menge der schweigenden, in Decken gehüllten Zuschauer, die um die Feuer hocken. Weißhaarige Medizin* männer streuen heiliges Maismehl aus schön geflochtenen Körben und die Göttersind aus ihren Wohnungen in den Bergen herabgekommen. — Unsichtbar sind sie nahe. Die endlosen Wälder sind ausgeholzt. Die Prärie ist von Eisenbahnen durch* quert, mit Telegraphenpfählen bepflanzt und mit Mais und Wellblechschuppen bebaut. Um die Stationen liegen verrostete Automobile und recken ihre reifen* losen Radstümpfe in den leeren Himmel. Die einstigen Herren der Steppen und Wälder führen in Reservationen ein friedvolles und kümmerliches Leben mit einigem Vieh, wenig gutem und viel unbrauchbarem Land. Was der Acker an Nahrungsmitteln nicht einbringen kann, und das ist vieles, ersetzen die Konserven der Weißen. Die alten Gebräuche sind zum größten Teil vergessen und soweit noch Tänze gehalten werden, haben sie ihre ursprüngliche Bedeutung verloren. Doch trotz dem Einfluß der Zivilisation, die die Rasse und die alten Sitten ausrottet, wachsen neue Menschen heran von der physischen Stärke und dem Adel ihrer Väter. Aber sie haben keine. Heimat und nirgends Halt und ihre Kräfte erlöschen nach kurzer Blüte in lärmenden Fabriken und in der leeren Hoffnung auf die materiellen Vorteile der Weißen. Aus der Stille der großen Steppe war der Enkel des großen Häuptlings mit einigen seines Stammes in die lärmende Stadt der Weißen gekommen, um auf einer Ausstellung Geld zu verdienen. Nicht zu Pferde über die wogende Prärie mit einer Feder im Haar, sondern im Expreßzug über glitzernde Schienen. 96