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Johannes Wüsten Der Tod des Kinos Von Bernard Fay D as Kino hat uns fünfzehn Jahre lang in Schlaf gewiegt und machte uns Freude, wie eine neue Art Schlaf mit schöneren, weniger ermüdenden und dennoch nicht sinnlosen Träumen. Das Kino war ein schwarzer Raum, wo man sich im Finstern, inmitten der trägen Lässigkeit einer schweigenden Versammlung, küssen konnte, wo man kleine, verschwimmende Bilder vor sich sah, die vor den Augen flimmerten, die die Sinne unbestimmt erregten und uns von der Wirklichkeit los» lösten. Ein Piano —■ von Menschenhand gespielt oder mechanisch —, ein ver» schlafenes Orchester ersetzte uns die Ammenlieder. Jedes Jahr verbesserte sich die Technik des Kinos, dessen Bilder anfangs linkisch und ruckweise abrollten, und gewann an Flüssigkeit, Lebendigkeit und Eleganz. Für die ganze Welt bedeutete das Kino mehr eine Illusion als eine Kunst. Wie ein impulsives, schlichtes Kind lernte es niemals denken und reden, nicht ein» mal die Natur richtig nachzuahmen. Sein Reiz bestand in den phantastischen oder naiven Erzählungen, in seinen Tricks, Schelmenstreichen und Übertreibungen. Wenn es eine Kunst war, dann eine ausgesprochen physische. Wie die Schauspieler 3