Vorgänge sind häufig verglichen worden mit einem Pferde, das von den Funk tionen der Hirnrinde, die man dabei mit dem Reiter vergleichen kann, gezügelt wird. Je wilder das Pferd und je schwächer der Reiter, um so schwerer ist die trieb mäßige Persönlichkeit zu zügeln. Je kräftiger der Reiter, das heißt die Persönlich keit der Hirnrinde, um so mehr werden auch die Triebe gezügelt, die in der Tiefenperson liegen. Was uns in einem Menschen zuerst den Eindruck von seiner Persönlichkeit macht, ist nicht der Umfang seines Wissens und die Schärfe seines Denkens, das heißt die Funktion der Hirnrinde, sondern es ist sein affektives, triebhaftes, instinktives Gesamtverhalten; mit anderen Worten die von der Tiefen person ausgehenden Reaktionen. Die völlige Unterdrückung der Tiefenperson, das heißt der Triebe, durch Enthaltsamkeit und Askese kann bei schwächeren Charakteren zu Störungen des seelischen Gleichgewichts führen. Leschke sieht im Aufbau unserer Persönlichkeit ein allmähliches Aufsteigen verwirklicht, das vom unbedingten und bedingten Reflex hinaufführt bis zum Zusammenarbeiten von Hirnrinde und Hirnstamm, das heißt von dem dauernden Wechselspiel der Rindenperson mit der Tiefenperson. Vom Tier unterscheidet den Menschen die Vernunft. Gemeinsam hat er mit ihm die Triebe und Affekte. Allerdings beginnt die Vernunfttätigkeit nach Leschke schon in der Tierreihe und nimmt mit der wachsenden Größe und Differenzierung des Gehirns zu. Erst beim Menschen erreicht jedoch die Entwicklung des Großhirns jene Höhe, die ein vernunftgemäßes Denken und Handeln ermöglicht und die den Menschen zu wissenschaftlicher Erkenntnis (homo sapiens) und planmäßiger Anfertigung von Werkzeugen (homo faber) befähigt. Die Sehnsucht des Mediziners, sich von dem naturwissenschaftlichen Materialis mus eines Haeckel loszulösen, drückt auch Prof. Gustav von Bergmann bei ver schiedenen Gelegenheiten aus. Er ist als Philosoph ein Eklektiker, der wohl emerseits den Materialismus ablehnt und geistige Dingen die Oberhand über den Menschen haben lassen will, der aber andererseits in den engen kausalen Bezie hungen zwischen menschlicher Seele und dem Körper ein Dogma sieht. Er be trachtet den Menschen als das höchst entwickelte Exemplar der Tierwelt, dem in der Erkenntnis enge Grenzen gestellt sind. Auf Grund der Untersuchungen zahl reicher moderner Kliniker über die starke Beeinflußbarkeit körperlicher Vor gänge durch seelische und umgekehrt, kommt Professor von Bergmann zu einer Auffassung, die eine scharfe Grenze zwischen Körperlichem und Seelischem nicht anerkennt. Beides ist vielmehr durchgängig miteinander zu einer einheitlichen „Gestalt“ verbunden und am besten von einem umfassenderen Standpunkt aus zu verstehen, wie ihn auch Leschke für die Erfassung der Totalität der psycho- p ysischen Persönlichkeit und der „ganzheitsbezogenen Regulationen“ vertritt, und wie er in systematischer Weise von dem Berliner Psychologen Wolfgang Köhler in seiner „Gestaltspsychologie“ durchgeführt wird. Der Berliner Chirurg, Professor August Bier, hat sich besonders in den letzten Ja ren eingehend mit philosophischen Problemen beschäftigt und eine Darstel lung der geschichtlichen Entwicklung des Seelenbegriffs sowie seiner eigenen tellungnahme hierzu gegeben. Wir finden bei Bier eine weitgehende Überein stimmung mit dem vorsokratischen Philosophen Heraklit, dem Begründer der Aktualitätstheorie. Für ihn gibt es kein ruhendes Sein. Die Wirklichkeit besteht