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schlecht und bringt das Gefühl zum Schweigen. Am achtzehnten Tag der Ent wöhnung wird das Weib zumeist zärtlich, zum Heulen gestimmt. Darum scheinen in den Sanatorien auch die Weiber alle in den Arzt verliebt. Trotz allem, was ich erlitten, bleibe ich bei meiner Überzeugung, daß das Opium gut ist; es liegt nur an uns, es freundlich zu stimmen. Man muß damit umgehen können. Wir aber sind so ungeschickt wie möglich. Eine strenge Ord nung mit Abführmitteln, Leibesübungen, Ruhe, Leberdiät, auch unter anderem keinen Attentaten auf den Nachtschlaf, würde ein Mittel zulässig machen, das jetzt durch Unverständige in Verruf geraten ist. Man wende nicht ein, der Ge wohnheitsraucher müsse die Dosen stets vergrößern. Es gehört zu den Geheim nissen des Opiums, daß der sachverständige, vorsichtige Raucher die Dosen nicht vergrößern muß. Das Problem des Opiums ist für mich kein anderes als das auch sonst unlösbare des Bequemen und Unbequemen. Was bequem ist, bringt um, das Unbequeme ist schöpferisch. Ich rede ebensowohl von der körperlichen wie von der geistigen Bequemlichkeit. Opium nehmen und doch der verlockenden letzten Bequemlich keit nicht nachgeben heißt, in ein geistiges Bereich den stumpfsinnigen Scherereien entfliehen, die wahrhaftig nichts mit Bequemlichkeit und Unbequemlichkeit auf dem sinnlichen Gebiet zu tun haben. Es heißt immer, das Opium versklave. Das Gebot der zeitlichen Regelmäßigkeit verleiht nicht bloß Disziplin, es verleiht auch Freiheit. „Das Bequeme bringt um“, die Wahl geht also zwischen völlig Bequemem und dem völlig Unbequemen. Nun wird man frei vom Besuchszwang, von der Gesellschaft herumsitzender Leute. Nur der Hedonist findet diese sitzenden Leute mit ihren Liebesgeschichten und Geschäften spaßhaft. Ich erwähne noch, daß das Opium im Gegensatz zur Spritze steht. Es macht den Menschen ruhig. Ruhig durch seinen Luxus, durch seine Zeremonien, den Geschmack der Lampen, der Zünder, der Pfeifen — durch die ganze weltliche Maschinerie um das altheilige Gift. Auch wenn keinerlei Bekehrungseifer sich einmengt, kann ein Opiumraucher nicht mit einem Nichtraucher zusammen leben. Beider Welten sind getrennt. Diese Verantwortlichkeit bildet eine der ganz wenigen Hemmungen des Rückfalles. „Ich bin innen mit Ruhe gepolstert.“ Solches bringt vielleicht ein lebendig Geschundener zu seiner Ehre vor. Ein Bekannter schimpft: „Wer nicht leben kann, der verrecke! Alle Halbheit ist unmöglich, es sei denn an Frauen.“ — Das Opium aber ist keine Flucht, es ist im Gegenteil ein Entschluß. Einen Fehler begeht nur, wer rauchen und dabei doch in den Umständen der Nichtraucher verbleiben will. Ein Raucher gibt selten sein Opium auf. Das Opium gibt ihn auf und zieht das andere mit sich. Es ist ein Stoff, der sich der Analyse entzieht, es ist lebendig, geradezu launisch und kann sich ganz plötzlich gegen seinen Raucher kehren. Das Opium ist ein Barometer von krankhafter Empfindlichkeit. Bei einem gewissen Feuchtigkeitsgrad in der Luft wird die Pfeife zum Giftrohr. Der Raucher reist ans Meer: die Droge läuft dort und will nicht sieden. Vor einem Schneefall, einem Gewitter, vor dem Mistral