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Ich ging, um von Hause zu hören, und einige ganz Verwogene riefen: „Na, Kleiner, willst du mit?“ Erst aus Jokus stieg ich mal mit ein. Es war ein Güterwagen mit sechs Pferden drinnen, die so standen, daß sie drei und drei sich anschauten. In dem freien Raum in der Mitte lagen wir und spielten Skat - und da war es passiert: der Zug fuhr los, und ich konnte nicht mehr heraus. Gardelegen, Hannover bis Köln. Hier, kurz vor der Ueberfahrt über die Rheinbrücke, wurde revidiert, und bald hatten sie mich am Schlafittchen. Ich wurde der Bahnhofskommandantur übergeben und am nächsten Tag mit einem Kriminalen nach Hannover übergeführt, wo ich zum ersten Mal ein Ge fängnis von innen kennenlernte. Ich saß drei Wochen, und was das Schlimmste ist, im Schubgefängnis. Dort werden die Leute untergebracht, die nur auf dem Durchtransport und oft wochenlang unterwegs sind. Keine Wasch gelegenheit haben sie und können auch nicht aus den Kleidern, weil es nur Pritschen und Decken gibt. Außerdem kommen hier noch die Pennbrüder herein. Es ist sehr schlimm; in ein paar Tagen hat man fast nur noch Fetzen am Leib, und die wimmeln von Bienen. Zu essen gab es nur in Wasser ge kochte Kohlrüben und getrockneten Fisch — einen Happen pro Mann. Arbei ten mußten wir von früh bis abends, immer verschimmelte und vermoderte Militärröcke auseinandertrennen. Weil ich den Eisenbahnfiskus um soundsoviel Mark betrogen habe, wurde ich zu drei Wochen verurteilt, welche als durch die Untersuchungshaft verbüßt betrachtet wurden, und ein paar Minuten später stand ich als 16jähriger Knirps, in Fetzen, mittel- und obdachlos in Hannover im Regen, kannte keinen Menschen. Aber ich sagte mir meinen Wahlspruch: „Indianerherz kennt keinen Schmerz.“ Ein Pennbruder riet mir, am Bahnhof Koffer zu tragen. Nach vier Tagen hatte ich soviel verdient, daß es bis Rathenow langte. Ich arbeitete dort wieder auf Leuchtpatronen, und als ich ordentlich in Schale war, fuhr ich nach Hause nach Halle und arbeitete dort. Dazwischen kam die Revolution. Im Mai 1919 hatte ich wieder Krach mit dem Alten und haute ab nach Berlin. Ich ließ mich bei einem Sturm-Lehr-Regiment anwerben, und es ge fiel mir da soweit ganz gut. Da gab es eines Tages anstatt der gewöhnlichen Löhnung von 60 Mark gleich drei Dekaden ausbezahlt, also 180 Mark. „Das ist Sache!“ sagten wir uns, mein Freund, der Oberschlesier, und ich, gingen zuerst nach dem Rummelplatz, wo wir feste angaben, und dann schmorten wir uns in den Zelten so richtig einen an. Je toller es herging, um so aufgeräumter wurde ich; als das Geld alle war, gingen wir heim und wurden wegen Urlaubs überschreitung gemeldet. Auf Stube angelangt, schlug ich aus Wut, rveil das Geld weg war, und wegen der Meldung alles kurz und klein, und dann schlief ich meinen Rausch aus. Es gab drei Tage Mittel. Ich kam dann zu den Gardeschützen und mit ihnen nach Oberschlesien an die polnische Grenze. Hier war für mich Schluß mit dem Soldatenspielen, und ich könnte es auch nie mehr. Wir lagen nämlich bei so richtigen Popolskus im Privatquartier, und mein Freund wurde von der Alten bezichtigt, er habe eine Uhr gestohlen. Er hatte sie nicht gestohlen, und weil er ein patenter Junge war, erschoß er sich aus Kummer darüber. Die Uhr wurde dann bei der Alten unter dem 84