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Diese Musik ist ebenfalls in ihrer Art ein Original: sie ist irgendwie per sönlich, hat ein bemerkenswertes Einfühlungsvermögen in die Tanzenden. Ihre Favoriten begrüßt sie mit deren Lieblingsmelodien, zuweilen auch mit einem Tusch. Abgesehen von ihrem Primgeiger ist sie gar nicht first dass, ihr Rhyth mus gibt manchmal zu denken, und weder Argentinier noch Neger gehören zu ihrem Ensemble: sie hat den Zauber der Unprominenz. Aber ihr Repertoire ist reich und wird allen Stimmungen gerecht. Für die späteren Nachtstunden sind ihre Tangos wie geschaffen: voll Melodie und Sanftheit, voll süßer Sentimen talität, die die gelöste Whisky-Soda-Atmosphäre streichelt und beschwingt. Be hutsam stellen sie sich zwischen anstrengende House-parties und dem ausge brannten und unerbittlichen Lendemain. Die Königin ist fast ein unumgänglicher Salon geworden, in dem man sich von Zeit zu Zeit zeigen muß, um zu sehen und gesehen zu werden. Wie könnte man sonst dokumentieren, daß die Collage des schönen Y. mit Frau X. durch aus noch nicht auseinander oder gar wieder geleimt ist? Daß offiziöse Ver lobungen offiziell geworden, daß Staatssekretäre, Minister und Gesandte noch wohlauf und gut auf ihrem Posten sind, daß das Auswärtige Amt noch in jeder Beziehung etwas zu sagen hat? Die Gesellschaft wechselt ihre Spitzen, wer heute unten, ist morgen oben, und neue Truste bilden sich darin, die nur auf diese Weise sich von der Masse feststellen lassen — die Saison vergeht — aber die Königin besteht! EINE MUSI C-HALL-ATTRAKTION JACK HYLTON UND SEINE BOYS Vo n RENE BIZET Z wei Neuerscheinungen haben zu Beginn des Jahres 1928 Tout Paris auf die Beine gebracht, soweit es sich für die Music-Hall interessiert: Jack Hyltons Orchester im „Empire“ und die „Revue des Ailes“ im „Casino de Paris“. Die Jazzband Jack Hyltons hatte die Londoner Abende verschönt. Mehrere Monate sind Jack und seine Jungens auf der anderen Seite des Kanals gewesen und haben dort die lebhafteste Begeisterung erweckt. Sie sind dort populär. Sie werden dorthin zurückkehren, denn die von dieser Musikergesellschaft geforderten Bezüge sie erheben, sagt man, in Paris fünfzig Prozent von der Tageseinnahme des „Empire“ — verbieten es unserer Hauptstadt, sie länger zu behalten. In der Tat bedeutet Jack Hylton auf alle Fälle seit einem Jahre die größte und umfassendste Music-Hall-Attraktion für unser Publikum. Man könnte ihn mit nichts von dem vergleichen, was wir in dieser Art gehört oder gesehen haben. Man hat von dem Whitemanorchester gesprochen, das vor zwei Jahren in den Champs-Elysees und darauf in Berlin war. Hyltons Jazz gleicht ihm in keiner Weise. Whiteman hat uns die Kenntnis eines Orchesters vermittelt, das sich aus sehr guten ausführenden Künstlern zusammensetzt, die bisweilen Virtuosen 115