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Besiegten! Da stürzen ein paar Männer herbei, schlagen links und rechts in die heulende Meute, greifen hinein und packen den einen beim Nacken, schleudern ein paar andere zur Seite und retten den armen Kerl, der drunter liegt. Kaum steht der wieder auf seinen vier Beinen, da wirft er sich schon auf den ersten besten und fängt wieder zu raufen an. Nur der kleine, zausige Samojedenhund Lasse ist zu klug, um sich einzumischen. Mit anderen Samo jedenhunden könnte er sich messen, aber er weiß aus trauriger Erfahrung, daß er sich im Streit mit den großen Jenisseyhunden mehr Hiebe holen würde! als er zahlen kann. Fletscht einer von den großen Herren nach ihm die Zähne, dann rollt er sich sofort auf den Rücken, streckt seine vier kurzen Beine in die Luft und wedelt energisch und unbedingt in tiefster Untertänig keit. Er weiß, daß kein Hund, der Selbstachtung besitzt und nur zum Sport rauft, ihn anrühren wird. — Ein neues Bild rollt sich ab: Ich fahre vornehm über den Kolyma-Elf, vierzehn schnellfüßige Hunde vor den Schlitten gespannt. Das Wetter ist herilich, der Schlitten leicht und der Weg hartgefahren. Die Hunde laufen in sausender Fahrt, die wehenden Schwänze hoch über dem Rücken. Mein Schlittenjunge sorgt dafür, daß keiner seine Pflicht vernachlässigt, er schont keinen, der sich von der Arbeit drücken will. Helfen ein paar scharfe Zurufe nichts, dann saust der schwere Bremsstock durch die Luft, der Sünder heult auf und legt sich im nächsten Augenblick flach in die Sielen. Die Spur teilt sich; ein Ruf vom Schlittenführer, und das Gespann biegt auf den richtigen Weg ein. — Es liegt etwas auf dem Weg — ein neuer Zuruf, und das ganze Gespann steht still. Man bewundert die glänzende Dressur und die bähigkeit des Leithundes, auf die verschiedenartigen Zurufe richtig zu reagieren. Hier, wo sich die sibiriakischen Nachkommen der Kosaken gemischt haben mit den Pelzjägern, die vor 300 bis 400 Jahren durch Sibirien bis zu den abgelegensten Strecken vorgedrungen sind, hat sich das Fahren mit Hunden bis zu einer Kunst entwickelt. Wenn man sein eigenes Gespann kutschiert, so lernt man eine Menge Menschenkenntnis, indem man seine Hunde studiert. Es sind nicht zwei von ihnen gleich! Einer ist träge und unlustig, wenn die Tagesarbeit beginnt, und muß die harte Hand fühlen, damit er seine Pflicht tut. Ein anderer ist iiber- eifiig und gibt sich im Laufen schon iri den ersten Stunden aus. Bei einem muß man sehr vorsichtig sein mit Schlägen; hat er sie nicht verdient, wird ei scheu und gekränkt. Ein anderer ist wieder ein Lump, den man beständig in den Augen behalten muß. Einer hört wieder nur auf den Schlitten jungen, einem wieder fehlen alle liebenswürdigen Seiten. Jeder hat seinen individuellen Charakter; aber wenn es auch große Verschiedenheiten gibt und die guten Eigenschaften bei den Polarhunden in verschiedenem Maße entwickelt sind, eine ist jedem von ihnen im höchsten Grade eigen: die Treue. Wochen und Monate, ja oft Jahre sind sie dem Polarreisenden Freunde und Helfer, Diener und Kameraden. Er ist auf sie angewiesen und sie auf ihn. Kein Wunder, daß sie treu und fest Zusammenhalten! — Deutsch von Olga Fetter. 744