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FRITZ HELL WAG / ZEHLENDORF DIE REKLAME DER FILMINDUSTRIE Die Filmindustrie hätte es so gut haben können. Als sie geboren wurde, hatte Deutschland alle Kinderkrankheiten der Reklame bereits hinter sich. Es standen zahlreiche Kräfte zur Verfügung, die, nach den erprobten Grundsätzen des Zusammen« arbeitens von Kunst und Industrie geschult, bereit und fähig gewesen wären, das Kind aus der Taufe zu heben und ihm die Wege zum Erfolg zu be« reiten. Es wäre, wie es zum Beispiel für die fast gleichaltrigen Flugzeug« und Automobilindustrien gelungen ist, leicht möglich gewesen, von den ersten Anfängen an auch der Filmindustrie einen charakteristischen Reklamestil zu schaffen, der sie, national und international, von allen anderen um Anerkennung und Geltung ringenden Geschöpfen des menschlichen Geistes deutlich und vorteilhaft unterschieden hätte. Das Kind aber war eine Range und zeigte sich aller Tradition künstlerischer Mittel abhold; mit disziplinierter Kultur war ihm nicht beizukommen, denn es strebte mit aller Überheblichkeit des tech« nischen Wunderkindes zu den Gefilden des reinen Kitsches, von dessen Früchten es scheinbar am besten gedieh. Auch dies wäre noch kein absolutes Hindernis gewesen, denn wir kennen die Auftriebs« kraft, die selbst dem verlorenen Kitsch noch zu entnehmen ist, sofern er harmlos auftritt. Aber gerade in der eigensinnigen Verbildung des durch Verblüffung erfolgreich gewordenen Outsiders sitzt der Hacken, der die Entwicklung der Film« industrie später einmal in gefährlicher Weise hin« dern wird und deshalb sobald wie möglich entfernt werden muß. Da diese Zeilen zum Zweck der gegenseitigen Verständigung geschrieben werden, muß mit rückhaltloser Deutlichkeit auf alle Fehler hingewiesen werden. Wenn man kritisieren will, so soll man zuerst mal bei den eigenen Fehlern anfangen. Daran ist bei mir niemals ein Mangel gewesen, und so stelle ich mich dem Leser als einer vor, der sein Fiasko mit Pauken und Trompeten beim Film bereits er« lebt hat. Vielleicht können meine Erfahrungen manchen vertrauensseligen Greenhörnern von Nutzen sein. Also, ich sollte in einer der größten Filmgesell« schäften dem Reklameleiter, worüber dieser seine Begeisterung kaum verbergen konnte, mit ästheti« scher Beratung zur Seite stehen. Die Reklame ar« beitete: a) für die Litfaßsäulen, b) für die Theater« fassaden, c) für das Ausland, d) in sogenannten Tableaux, einem schauderhaften Gemisch von Graphik mit naturalistischen Photographien, auf denen aber, dank einer gnädigen Verfügung des Polizeipräsidiums, wenigstens keine Mordtaten oder erotische Handlungen dargestellt sein durften, e) in Riesenleinwanden über Theaterportalen, f) in illustrierten Theaterprospekten mit schmalziger In« haltsangabe usw. — Unsere Kontrahenten waren: die Direktoren, von denen man mir etwa sechs als Generaldirektoren bezeichnete und die ich Wechsel« weise, nach der jeweiligen Konjunktur der Haus« fehdepolitik, als die für mich zuständigen anzusehen hatte; dieLeiter der verschiedenen Inlands« undAus« landsabteilungen; die Leiter der hauptstädtischen und die Leiter der Provinztheater; die Theater« pächter; die Leiter der Importabteilungen; die Re« gisseure und Operateure; die großen weiblichen und männlichen Kanonen der Filmbühne; die interessierten Plakat« und Klischeeanstalten; und zu allerletzt die Künstler, die man doch nicht ganz entbehren konnte. Sie zerfielen in drei Kategorien: a) in die bereits eingeführten, denen — ein amüsanter 33