Rezension

Judikje Kiers / Fieke Tissink: (Hg.) Das Goldene Zeitalter der Niederländischen Kunst. Gemälde, Skulpturen und Kunsthandwerk des 17. Jahrhunderts in Holland. Katalog zur Ausstellung 'Der Glanz des Goldenen Jahrhunderts' im Rijksmuseum Amsterdam v. 15. April - 17. September 2000, Stuttgart: Chr. Belser AG 2000,
Buchcover von Das Goldene Zeitalter der Niederländischen Kunst
rezensiert von Eckhard Leuschner, Institut für Kunstgeschichte, Universität Passau

Nachdem das Rijksmuseum Amsterdam in den letzten Jahren grundlegende Ausstellungen zum Spätmittelalter, dem Manierismus und zu Aspekten des 18. Jahrhunderts gezeigt hat, veranstaltete es aus Anlaß seines zweihundertjährigen Bestehens im Frühjahr und Sommer 2000 eine Schau mit Kunst des nach wie vor als eigentliche Blütezeit der nördlichen Niederlande verstandenen 17. Jahrhunderts. Die Zahl der ausgewählten 200 Objekte, zur Hälfte aus dem Fundus des Museums, zur Hälfte Leihgaben großer Sammlungen in aller Welt, sollte das Jubiläum des Hauses spiegeln, zugleich aber den Umfang der ebenfalls aus 200 Bildern bestehenden Gründungsausstellung im Jahr 1800 evozieren. Bei so viel Symbolik legte das Rijksmuseum Wert darauf, Kunstwerke auszuwählen, die es für das künstlerische Schaffen des Gouden Eeuw als hochgradig repräsentativ ansieht. In einer weitgehend chronologischen Ordnung wurden, nach Einzelaspekten wie Gattungen (Stilleben, Interieur, Seestück) oder lokalen Schulen (Utrechter Caravaggisten, Delfter Vedutenmalerei) geordnet, Spitzenwerke gezeigt, die eine Art Rijksmuseum imaginaire konstituierten. Der - sprachlich meist gelungen - ins Deutsche übersetzte Katalog der Gemälde, Plastiken und kunstgewerblichen Stücke (ausgespart blieben Zeichnungen und Druckgraphik, denen eine eigene Publikation gewidmet war) folgt dieser Unterteilung, stellt aber den kapitelweise arrangierten Objekteinträgen kurze Einleitungen in die Materie voran. Das Buch versteht sich nach eigenem Bekunden als eine auch über die Dauer der Ausstellung hinaus gültige Quintessenz der Kultur des Zeitraums.

Schon auf den ersten Seiten wird deutlich, daß das Buch Ausdruck eines radikalen Wandels im Selbstverständnis des Museums ist. Anders als in der mit höchstem wissenschaftlichen Anspruch vorbereiteten Ausstellung Dawn of the Golden Age (1993/94), deren opulent aufgemachter, zugleich aber exzellent recherchierter Katalog auf Jahrzehnte ein Standardwerk bleiben wird, will das Institut nun einem "breiten Publikum" (S. 8) dienen, "ohne an wissenschaftlichem Interesse einzubüßen" (ebd.). Doch traut man dem "breiten Publikum" kritisches Denken und den Willen zum Nachlesen anscheinend nicht zu: Die Diskussionen der Objekte spiegeln zwar den Stand der Forschung, nennen aber keine Quellen und verweigern selbst knappste Belege für die aufgestellten Thesen. Fußnoten fehlen völlig, selbst Zitate aus niederländischen Kunstschriftstellern der Epoche tragen keine Stellennachweise. Nur eine winzige Auswahl weiterführender Literatur ist am Ende des Buchs hinzugefügt, und dies geschieht so, daß der Bezug zu abgebildeten Werken nicht immer deutlich wird. Wie zu hören ist, war man im inzwischen streng auf marktwirtschaftliche Führung des Hauses verpflichteten Rijksmuseum ausdrücklich stolz darauf, daß die beiden Hauptautoren des Katalogs keine promovierten (und damit teuren) Kunsthistoriker sind. Die Amsterdamer Ausstellungen und Ausstellungspublikationen - man mag es begrüßen oder nicht - sind nun also in den Händen von Collection Managers, âAusstellungsmachernÔ und selbsternannten Generalisten.

Die Bilanz der Lektüre ist jedenfalls zwiespältig. Tatsächlich versammeln die hochwertigen Farbabbildungen mit ihren knappen Erläuterungen die erste Garde des Goldenen Jahrhunderts, womit die Vielfalt und Komplexität der Epoche sowie ihr schier unendlicher Vorrat an künstlerischen Talenten angedeutet sind. Auch erscheinen die Erläuterungen, sparsam wie sie sind, insgesamt gut formuliert und charakterisieren die Künstler und Werke. Die den Fotos meist hinzugefügten Erwerbungsdaten gewähren einen interessanten Einblick in die bis in die Gegenwart andauernden Bemühungen der großen Museen um den Erwerb von Meisterwerken des Gouden Eeuw, also um Bilder und Objekte, die als Exportprodukte die Niederlande nur zu häufig schon im Jahrhundert ihrer Entstehung verlassen haben. Dazu kommt die en passant endlich auch in einem Katalog des Rijksmuseums vollzogene Rehabilitierung der niederländischen Klassizisten und Historienmaler vom Schlage eines Cesar van Everdingen, Karel Dujardin und Gérard de Lairesse, deren elegant-akademische Malweise lange einem überzogenen Rembrandt-Kult zum Opfer gefallen ist. Auch die schon ins Rokoko spielende höfische Skulptur und Gartenplastik des späten 17. Jahrhunderts, also die Zeugnisse einer zunehmenden Frankreichorientierung der Niederlande, bekommen nun den ihnen zustehenden Raum.

Doch diese positiven Aspekte können ohne die Möglichkeit der überprüfung nicht als Verdienst der Katalogautoren, sondern nur als das ihrer ungenannten Quellen gelten. Schlimmer noch, indem die Autoren - nach den Worten des Museumsdirektors Ronald de Leeuw - sich in ihrer Katalogarbeit darauf zu beschränken hatten, "aus dem reichen Reservoir an Fachwissen [zu] schöpfen, das Generationen [von] Spezialisten im Museum gesammelt haben" (S. 8), wird die wissenschaftliche Kunstgeschichte zum Auslaufmodell erklärt, deren Reste zum Fleddern freigegeben sind. Das versammelte Bildmaterial läßt erahnen, welche Chancen für einen geduldig und unter Beachtung kunsthistorischer Publikationsstandards ausgearbeiteten Katalog bestanden hätten. Die neue Linie des Rijksmuseums gibt allerdings zu befürchten, daß - entgegen den eigenen Bekundungen - kunstwissenschaftlicher Anspruch in Zukunft nicht mehr Hauptaugenmerk des Hauses sein wird. Man fragt sich, ob auswärtige Leihgeber ihre kostbaren Bilder weiterhin für so anspruchslose Ausstellungen ohne jeden Erkenntnisgewinn nach Amsterdam schicken werden.


Eckhard Leuschner

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Eckhard Leuschner: Rezension von: Judikje Kiers / Fieke Tissink: (Hg.) Das Goldene Zeitalter der Niederländischen Kunst. Gemälde, Skulpturen und Kunsthandwerk des 17. Jahrhunderts in Holland. Katalog zur Ausstellung 'Der Glanz des Goldenen Jahrhunderts' im Rijksmuseum Amsterdam v. 15. April - 17. September 2000, Stuttgart: Chr. Belser AG 2000
in: KUNSTFORM 1 (2000), Nr. 2,

Rezension von:

Eckhard Leuschner
Institut für Kunstgeschichte, Universität Passau

Redaktionelle Betreuung:

Jan Mohr