Volltext Seite (XML)
Brief aus Wien Wien liegt in einem erweiterten Deutschland — für den deutschen Reisenden also in uner forschtem Gebiet. Venedig, Tunis und Pernam- buco — das kennt man. Das ist Fremde. Da weiß man, woran man sich zu halten hat. Aber Wien ? Eine Stadt, in der man deutsch spricht ? Eine Zweimillionenstadt, die weder eine Unter grundbahn noch einen Verkehrsturm hat ? Das ist noch nicht Fremde und nicht mehr Daheim. Oder doch nur ein Daheim in schlechterer Auf lage. Dafür hat man keine Zeit. Das Gesicht einer Stadt zu zeichnen — be denklichstes Unternehmen, wenn diese Stadt kein Gesicht hat. Kein Gesicht, sondern deren zehn oder fünfzehn. Von Wien hat der deutsche Durchschnittbürger eine schiefe, verlogene, sentimentalische Vorstellung, die sich in ein paar Schlagworten erschöpft. • Zum ersten: das in Norddeutschland so beliebte „Waschermadel“. Auch die Lesart „Wascher- madrol“ findet sich bei besonders Milieuver trauten. Man stellt sich vor, daß diese Mädchen, mit weißen Häubchen, einen Korb mit frisch geplätteter Wäsche am Arm, appetitlich bis in die Fingerspitzen, voll-schlank, treuherzig, lebenslustig und dennoch keusch im tiefsten Grunde der Seele — daß also diese Mädchen hierzulande leichtfüßig durchs Leben und über die Gasse hüpfen, nur darauf wartend, daß ein Fremder von Distinktion nach ihnen hasche. Gesagt sei, daß mir, der ich zu den Eingeborenen zähle, jenes „Waschermadel“ auch nicht in einem einzigen Exemplar begegnet ist. Zu Zeiten des Wiener Kongresses von 1815 soll es sich noch in sporadischen Fällen am Rande der Stadt gefunden haben, obwohl die Annahme nicht von der Hand zu weisen ist, daß es sich auch damals nur mehr um eine industriöse Aus wertung des erotischen Nimbus durch „Professi onals“ gehandelt hat. Heute gibt es jedenfalls Dampfwaschanstalten wie anderswo, und die dort etwa beschäftigten blassen Proletarier- frauen sind nicht begehrenswerter als andere. • Immerhin — über die Frauen von Wien ist doch einiges anzumerken. Es kann nicht geleugnet werden, daß die Überschneidung deutschen, magyarischen und slavischen Blutes zu einer besonders glücklichen Mischung geführt hat. Mir ist keine Stadt in Europa bekannt, die im Konzertsaal, im Kaffeehaus, auf Straße und Straßenbahn einen gleich hohen Prozentsatz reizvoller und hübscher Frauengesichter auf wiese. Wohlgemerkt: die Wienerin ist hübsch, selten schön. Frauen gemischten Blutes kon servieren sich gut. Reinrassige Frauen sind kalt oder heiß. Wenn in diesem Zusammenhang — ohne durch Ver allgemeinerungen flach werden zu wollen — ein Wort über die sexuelle Moral gesagt werden darf: die Wienerin lebt als Mädchen frei und wird eine treue Ehefrau. Zum Unterschied etwa von der Pariserin, die nach einer übermäßig behüteten Mädchenzeit, sich als Ehefrau „aus lebt“. Ein anderes: ’as Wiener Kaffeehaus. Eine Dame aus Hannover hat mich einmal gefragt: „Ist es richtig, daß die Wiener Schriftsteller nur im Kaffeehause arbeiten ?“ Ich mußte sie enttäuschen. Obgleich auch hier nicht zu leug nen ist, daß das Kaffeehaus im physischen und geistigen Stadtbild eine ganz andere und un gleich größere Rolle spielt als in anderen Städten. Es gibt hier tatsächlich eine erstaunlich große Anzahl von Menschen, die täglich oder fast täglich in „ihr“ Kaffeehaus gehen, um Zeitungen zu lesen, Freunde zu treffen, Karten zu spielen. Diese Kaffeehäuser, dem Zweck des Kaffee trinkens (das zu einem Zoll an den Unternehmer, zum notwendigen Übel geworden ist) längst Fortsetzung auf S. 78 HUMOR FÜR harmlose Gemüter Was ist paradox ? Wenn bei einem Obsthändler eine Pfändung fruchtlos verläuft. Leibgerichte Unter den Vegetariern essen am liebsten: Optiker: Linsen; Elektriker: Birnen; Militärs: blaue Bohnen; Mathematiker: Wurzeln; Reichstagsredner: Kohl; Politiker: gebratene Kastanien. In der Kleinbahn Sie, Schaffner, läuft denn das Wasser immer durch die Decke ?“ „Nein, Herr, nur wenn’s regnet!“