TEMPO TEMPO WELLE BERLIN SCHERMANN, DAS GRAPHOLOGISCHE PHÄNOMEN Der Wiener Graphologe überrascht seine Berliner Kunden. Kaum hat er mit einem neu gierigen Besucher gesprochen, weiß er schon über des Betreffenden Handschrift Bescheid. Und täuschend ähnlich gibt er einen Namenszug mit allen Eigenarten wieder. Aber warum sollen nicht wie Charaktere aus Handschriften auch Handschriften aus Charakteren zu deuten sein ? Heroische Naturen haben nicht dieselben Schnörkel wie Hysteriker oder Phantasten. Kokotten führen die Feder anders als Regie rungsräte, Staatsanwälte nicht wie Tänzer innen. Schließlich ist der Schermann gar kein so rätselhaftes Genie, für das ihn die Berliner halten, sondern nur der psychologisch begabte, graphologisch geschulte Vertreter einer neuen Wissenschaft. Gibt es doch weniger Wunder zwischen Himmel und Erde, als die Naive sich träumen läßt! • FIGARO, DER MONDÄNE BARBIER Barbier heißt der Friseur im Berliner Norden. Friseur heißt der Barbier im Zentrum. Coiffeur tauft sich mit internationaler Geste der Friseur und Barbier im Westen. Der Kurfürstendamm erwacht offiziell zweimal: Mittags und mitter nachts. Mittags wandelt der Gentleman, der sich tagsüber von den Anstrengungen seiner Nächte erholt, zu Figaro, dem mondänen Coiffeur. Dort kostet ihm eine Rasur soviel wie mir bei Aschinger ein Mittagessen. Eine kom plette Behandlung hingegen mehr als bei Kem- pinski ein Abendbrot. Während der Gesichts massage läßt sich der Kavalier durch in der Tat ganz entzückende Mädchen die von Arbeit verschonten Hände pflegen. Diesen erotischen Vorgang nennt er Manicure. • DIE PEDIKÜRTE ZEHE VERRÄT DAS SCHICKSAL IHRES BESITZERS Der kluge Neger Jupiter sagt in einem Buch, das seinen Raub der weißen Frau „Europa' 1 schildert: „Ich glaube nicht, daß die vornehmen Dandies im Berliner Westen zu jeder Stunde ohne Erröten ihre Füße zeigen können.“ Der kluge Neger Jupiter irrt. Dandies erröten nicht. Und dann besuchen sie jetzt die angeblich aus Paris importierten Podomantinnen. Das sind junge blonde Professorinnen der Fußlesekunst. Aus einer pedikürten großen oder kleinen Zehe verraten sie das Schicksal und die Untreue, der Geliebten. Aber mit wollenen Socken können sie da nicht hingehen! • MAN KAUFT HOSENTRÄGER UND ZAHN- tÜRSTEN UND ERFREUT SICH GLEICH ZEITIG AN KUNST Der Repräsentant von Berlin, dieses vor bildliche europäische Warenhaus, hat wieder einen ästhetisch hervorragenden Erweiterungs bau geschaffen. Raffinierteste Mittel der Tech nikwurden mit einem seltenen Sinn für Stilrein heitverwandt. So gibt es jetzt zwei vom Boden bis zur Wolkenkratzerdecke ganz vollkommene Lichthöfe. In einem Rondell stehen vier ent zückend nackte, anmutige Figuren. Ihr An blick eröffnet eine beglückende Perspektive. Wir können in Zukunft Schlüpfer, Hosenträger und Zahnbürsten kaufen und uns gleichzeitig an wdrklich künstlerischen Dingen erfieuen. • DER BERLINER FÜHLT SICH ALS BUA UND MÜNCHEN MACHT DAS GESCHÄFT Die Schwabinger sind aus der Stadt Hitlers und des Hofbräuhauses in das Berliner Romani sche Cafe gezogen. Die Unsitte der Bockbier feste, da man sich männiglich und weiblich-un weiblich besäuft, folgte mit Kitschgirlanden Bratwürsten und Schnadahüpferln. Selbst Lo kale am Kurfürstendamm verschmähen diese bayerischen Attraktionen nicht. Clou ist aber der Rummel in der „Neuen Welt“. Dort darfst du echte Waschermadls sonstwo kneifen. Wenn der Berliner sich als Bua fühlt. . . mein Gott! • DAS LUXURIÖSESTE CAF£ DES KONTINENTS Das ist Cafe Schottenhaml. Fast zu feudal, um neben Girls und frischgebügelten Herren auf dem Präsentierteller der Überheblichkeit und Bewunderung zu sitzen. Aber der Architekt hat Herrliches geleistet! • AUF UMWEGEN ZU KRAFT UND ANMUT Die kurzen Röcke. Die Spießer haben sie gern. Und auch ich mag sie ieiden. Komisch bleiben die fruchtlosen Versuche, ein kurzes FORTSETZUNG AUF SEITE 69