BERLINER ELENDS- UND VON ROBERT NEUMANN Mit 8 Aufnahmen von Max Baumgarten 30 n 30 VIERTEL» „Berlin bei Nacht“. Die Phrase schmeckt nach deutschem Sekt, gemalten Augen und Nepp Gemeint ist aber diesmal nicht jenes Nachtleben, das sich am Kurfürstendamm für den Mann aus dem Westen oder an derFriedrichstraßc für den Mann aus der Provinz etabliert hat, sondern jenes andere, dessen gastliche Stätten zwischen der Prenzlauer Allee und dem Alexanderplatz zu suchen sind, oder amWedding, oder an der Frankfurter Straße, oder in Moabit, oder in Neukölln oder— der Fläche nach wären vier Fünftel von Berlin hier zu nennen. ’ Vier Fünftel, von denen man nicht gerne reden hört. Deren Wildwest-Namen man nur auf den iafeln der Untergrundbahnen liest. Das liegt fern dort hinten. Man müßte zehn Stationen weiterfahren— in eine _ andere Welt. Man tut es nicht. Und man tut Unrecht daran. Denn in jenen vier Fünfteln der Stadt wohnt nicht nur die „vierte Kaste“, die der Ar beiter. Berlin, Deutschland, Europa hat einen fünften Stand. Er ist entstanden aus jenen Arbeitslosen, Obdach losen, Zugewanderten, die vor zwei Jahrzehnten noch spär lich und scheu in Winkeln saßen. Heute ist dieser Stand der Heimatlosen mehr denn je in den Vordergrund des In teresses gerückt. \ iertel des Elends und des Verbrechens. Wieder ist nur jenes Verbrechen gemeint, das aus dem Elenderwächst nicht der Hochstapler, nicht der Scheckbetrüger, nicht der Außenseiter der Gesellschaft in Lackschuhen. Die Grenze jenes fünften Standes der Heimatlosen läuft dort, wo die Heimat aufhört, das Heim, die „Bleibe“. Verliert einer seine Arbeit, so verliert er, mittellos geworden, mit einer unheimlichen Zwangsläufigkeit auch sein Quartier. Eine Weile hält er sich noch in „billigen“ Wohnräumen. Die emundachtzigjährige Frau auf dem ersten Bild wohnt in einem Kohlenkeller. Bild zwei stellt die „Kinderstube“ eines rührend schönen, blonden zweijährigen Mädchens dar. Aber auch solches Quartier kostet Geld—acht Mark monatlich, zehn Mark, fünfzehn Mark. Ist das nicht mehr erschwinglich, so geht es auf die Straße hinaus. Nun wäre vielerlei vom Obdachlosenasyl zu berichten — einer Stadt in der Stadt, einem riesigen Gebäude- In einem Kohlenkeller haust die 81 jährige Frau