Volltext Seite (XML)
ERINNERUNG VON X X P t> AN GUSTAV SACK s ’ x Wir wurden gemeinsam in Rostock zu Soldaten abgerichtet, und damals war Gustav Sack das Urbild des rauflustigen, weibertollen und chronisch besoffenen deutschen Verbindungsstudenten. Sein gesundes Gesicht starrte von Schmissen, und niemals kam ein Wort über seine Lippen, das nach Literatur geschmeckt hätte. Nur ganz gelegentlich riß die konventionelle Hülle, und in einem dieser seltenen Augenblicke vertraute er mir an, daß er einen — Roman verfaßt hätte. Er wüßte nicht recht, ob er was tauge, und ich möchte ihn doch einmal lesen. Von diesem Tage an war ich mit Gustav Sack eng befreundet, und zu meinem wertvollsten Besitz gehören die (bisher an keiner Stelle veröffentlichten) Briefe, die er mir — hauptsächlich in dem ersten halben Jahr nach seiner Militärzeit— geschrieben hat. Ein Dirnchen verleitet ihn zu einem abenteuerlichen Abstecher nach Kiel, und dann kehrt er, verschuldet, degradiert, als „verlorener Sohn“ in seine Heimat Schermbeck bei Wesel zurück. Seine stereotype Frage lautet: Was beginne ich nur? Am 22. Oktober 1912 schreibt er: „Ohne einen Heller Geld hocke ich hier, pumpe, hungere — das Einzige, das zu mir hält, ist — Claire.“ Seine Lage wird immer ungünstiger. Am 5. November 1912: „Ich habe Brandbriefe in alle Welt flattern lassen.“ xÄm 9. Januar 1913: „Die Manichäer drängen mich wie ein gehetztes Wild.“ Zwischendurch, am 3. Dezember 1912, der zynische Stoßseufzer: „Dazu kommt eine fast krank hafte Neigung zu einer— sit venia— Rostocker Ziege.“ In Wirklichkeit liebt er die „Ziege“ Claire, aber die Verzweiflung macht ihn ungerecht. Mit wütender Energie arbeitet er auf meinen Rat den Erstlingsroman „Ein verbummelter Student“ um und konzipiert einen neuen Roman. Am 9. Jan. 1913 atmet er befreit auf: „Nun ist der Student abgedampft, geflickt und gebessert, ganz so wie Sie es vorschlugen —Aber in die Ereude über das glücklich vollendete Werk mischt sich sofort der Zweifel: „Jetzt, wo ich das ganze Dings durchgelesen habe, möchte ich zu vielem nein! sagen; so insbesondere der ganze pathetische und wichtig tuende Stil behagt mir nicht mehr.“ Er hoffte, daß es mir gelingen würde, den Roman bei Georg Müller in München unterzubringen. Leider blieben alle Bemühungen und Empfehlungen ohne Erfolg, und dieser Fehlschlag rief bei Gustav Sack eine tiefe und gefährliche Depression hervor. Wieder lautete die Frage: Was nun ? und wieder kam keine Antwort. Am 19. März 1913 : „Ich bin hier in dieser notgedrungenen Einsam keit und fast beängstigenden Stille in eine solche nervöse Überreiztheit geraten, und habe mir durch mein ewiges Herumschlagen mit mir selber und noch allerhand andre Sachen mein ganzes Gleich gewicht total gestört — das klingt übertrieben, aber ich mache mir über meine Fahrigkeit und oft unbegründete Aufgeregtheit, meine Schlaflosigkeit und Gedächtnisschwäche die verrücktesten grausigsten Gedanken.“ Gustav Sacks Briefe an mich enthalten seitenlange Erörterungen über den „cholerischen Flucher“ Erich, den Helden des „Verbummelten Studenten“, und den „müden Pessimisten“ der als Namenloser im Mittelpunkt des zweiten Romans steht. Auch die logische Notwendigkeit eines dritten Buches, das „Der große Held“ heißen sollte, wird eingehend bewiesen. („Da müßte man aber erst die Wüste und die Tropen gesehn haben“.) Wichtiger als diese literarischen Gedanken gänge erscheint mir eine Äußerung, die in einem Brief vom 27. Dezember 1912 fast unvermittelt auftaucht. Da fragt er mich: „Haben Sie übrigens auch so einen Heidenbammel vor dem Krieg? Es ist doch eigentlich eine hanebüchene Vergewaltigung, einen Menschen, der auch nicht das geringste Interesse für sein .Vaterland 1 hat, in solche Metzelei zu schicken. Ja, wenn ich für mein Interesse, für einen Klumpen Gold oder irgendein Prachtweib hauen und stechen dürfte — aber für solch eine imaginäre Sache wie „Thron und Altar 1 , solche leibhaftigen, entschuldigen Sie, stinkenden Lügen ?“ 6 Der dies schrieb, wurde am 5. Dezember 1916 auf dem Vormarsch gegen Bukarest bei Finta Mare von einer rumänischen Gewehrkugel tödlich getroffen. Sein Bursche urteilte über ihn: „Er war stets freundlich und gerecht und ein Offizier, wie sie alle sein sollten. Auch kannte er keine Furcht und ging stets kaltblütig ms Gefecht.“ Aber Gustav Sack, der schöpferische Mensch und geistige Kämpfer, gehört nicht den massen haften Hurrapatrioten, sondern jener aufgeklärten Minderheit an, die - wie er - den Mut hat, den Krieg eine Metzelei zu nennen.