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UMSTEIGESTATION des LEBENS Die Überwindung des „gefährlidien Alters“ Von GEORG GRAU Jdi bin zu alt, um nur zu spielen, Zu jung, um ohne Wunsch zu sein t S , (Faust) chopenhauer vergleicht einmal die Phasen unseres Lebens mit der Reihenfolge der Planeten: Zuerst er scheint Merkur als der Erwecker des Intellekts. Dann herrscht Venus, deren Sym bolik keiner Erläuterung bedarf. Es folgt Mars, der den Menschen in den Lebens kampf stellt. Alsdann legen sich die Stürme, und der weise Jupiter gibt dem Leben Festigkeit und Inhalt. Aber jetzt naht Saturn, der finstere Bruder der Sonne, als Schwere, Müdigkeit, Melancholie oder Verzweiflung. Obgleich unser Dasein erst im Zenit steht, nur zwei Drittel des Weges zurückgelegt sind, stehen wir plötzlich vor der Pforte, von der sich unser Blick angst voll abwendet: — dem Alter! — Darum nannte die alte Mystik mit ihrem feinen Ver ständnis für das Bildhafte den Saturn den „Hüter der Schwelle". Über diese Schwelle treten wir im Mittag unseres Lebens, wenn die Sonne langsam wieder gen Westen zieht. Es sind genau zwanzig Jahre her, seit Karin Michaelis’ mutiges Buch in deutscher Übersetzung erschien, dessen Titel „Das gefährliche Alter" zu einem oft falsch verstandenen Schlagwort wurde. In jenem Roman handelte es sich um eine Frau reiferen Alters, die plötzlich eine neue, heiße Liebe im Herzen spürt, ihren Gatten verläßt und unter der hoffnungslosen Liebe für den anderen unsagbar leidet, weil — hier liegt das Entscheidende — sie noch einmal nach einem Jugenderlebnis begehrt, sie selbst aber nicht mehr begehrt wird! Wenn auch die „Tragödie des Alterns bei dem weiblichen Geschlecht eine größere Rolle spielt und besonders die Übergangszeit des Klimakteriums seelische Konfliktstoffe mit sich führt, bleiben auch genug Männer in den Fangeisen jener „Schwelle“ stecken. In Thomas Manns Novelle „Der Tod in Venedig" entwickelt sich das Tragische aus der Dissonanz zweier grundverschiedener Erlebniskreise, der Ju gend und des Alters. Ein Mann, der bereits im Nachmittag seines Lebens steht, versucht noch einmal, sein Äußeres zu verjüngen, um den Weg in das sonnige Land der Jugend zurückzufinden. Aber sein Inneres verwan delt sich nicht mit, die Maskerade versagt, und die Jugend erkennt ihn nicht mehr als ihresgleichen an. Sie bleibt ihm versperrt, er will nicht verzichten und wählt — den Tod! Im Leben geht es meist nicht so drama tisch zu wie in der Literatur, und die „Mit tagskrise" unseres Daseins zieht mit ihren Gemütsschwankungen oft nur wie ein grauer Schleier vorüber, ohne in der Hast des All tags sichtbar zu werden. Aber nicht immer! — Diese notwendige Umstellung auf ein