Geschwindigkeit ist keine Hexerei. Von Richard Lehmann sehen wir Kannen und Flaschen aller Art, teils bloße Attrappen zum Verschwin- denlassen anderer Gegenstände, teils zum Ausgießen verschiedener Flüssigkeiten. Eine solche Flasche älteren Systems hat im Inneren mehrere kleine Behälter, die vorher mit den betreffenden Flüssigkeiten gefüllt werden, und von denen ein dünnes Röhr- chen zur Ausflußöffnung im Hals führt. Eine zweite Röhre führt zu einem kleinen Loch in der Wand der Flasche, das von einem Finger des Zauberkünstlers verschlos sen wird. Er hält die Flasche mit seinen fünf Fingern ähnlich, wie ein Musiker ein Okarina halten würde. Wenn er eine Oeff- nung durch Hebung des Fingers freigibt, so kann Luft ein treten und die Flüssigkeit fließt aus dem Flaschenhals aus. Allen Interessenten der Zauberei sei verraten, daß heute ein Zauberkünstler anders arbeitet und sämtliche verschiedenen Getränke aus einer durchsichtigen Glaskaraffe, die mit Leitungswasser gefüllt ist, ausgießt. Zum Schlüsse möchte ich noch im Interesse unserer europäischen Magier einem in der Oeffentlichkeit weit verbreiteten Irrtum ent gegentreten. Man hört nämlich immer wie der, daß die orientalischen Zauberer, vor allem die indischen, wahre Wunder voll bringenkönnen. Dasistaber nicht wahr. Ihre Kenntnis beschränkt sich auf einige wenige, durch Jahrhunderte hindurch gleichartig vorgeführte Tricks, die jeder europäische Zauberer besser und eleganter ausführen kann; und mancher indische Zauberer hat schon sprachlos vor Staunen zugesehen, wenn einer seiner europäischen Kollegen ar beitete. Was den oft kolportierten und ganz zu unrecht berühmt gewordenen indi schen Seiltrick anlangt, so handelt es sich nach dem Urteil aller modernen Fach leute nur um das Erzeugnisderüber- hitzten Phantasie verschiede ner europäischer Journalisten. Angeblich soll sich die Geschichte so zu tragen: Ein Seil wird von dem Fakir in die Luft geworfen und bleibt gestrafft stehen. Dann klettert ein Junge herauf und der Zauberer hinterher. Beide sind verschwun den, doch fallen nach einiger Zeit die blu tigen Glieder des Jungen nacheinander von oben herab. Schließlich kommt der Fakir wieder herunter, sammelt die Glieder in einem Sack zusammen, spricht einige Be schwörungsformeln und der Junge kommt gesund und vollständig w ieder aus dem Sack heraus. Dieser Trick wurde aber noch nie einwandfrei beobachtet. Es läßt sich direkt sagen, daß wdr es mit einem Klatsch zu tun haben, der von Mund zu Mund weiter getragen wurde. Die älteste Quelle, die von der mysteriösen Geschichte erzählt, geht meines Wissens auf das sechzehnte oder siebzehnte Jahrhundert zurück. Auch die gedankenlose Erklärung dieses nie beobach teten Tricks durch das Schlag wort „Massen suggestion“ ist w'issenschaftlich völlig un haltbar. Was die Inder und die Chinesen sonst noch zeigen, dürfte man bei uns teil weise überhaupt nicht mehr vorführen. Un sere Abbildung auf Seite 679 zeigt uns ein sog. chinesisches Fadenholz. Fünf Fäden sind durch eine Anzahl Querhölzer miteinander verbunden. Ziehe ich das Holz Nr. 2 herunter, so bleiben nur noch vier Fäden übrig. Beim nächsten Holz sind es gar nur noch drei und schließlich -.zwei Fäden, worauf deren Zahl beim Ziehen wei terer Hölzer wieder bis fünf zunimmt. Der Trick beruht auf einer sinnreichen Ver schlingung der im Innern hohlen Hölzer — sicher sehr hübsch und geistreich ausgedacht, aber für unsern Geschmack entschieden et was zu kindlich. 680