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Das Mirakel. Von Luciano Züccoli hast doch gesagt, du wünschest dir ein Lämmchen, weil die Goldstücke alle gestor ben sind.“ „Ja.“ „Also?“ „Aber ich will, daß du der Mama ein Geschenk gibst!“ erklärte Fausto. „Für die Mama kommt kein Chlistkind. Und dann muß Flanz etwas zu essen bekommen, wenn el nicht gestolben ist wie die Goldstücke und dann klieg ich das Lämmchen.“ Gualtiero beugte sich herab, nahm das Kind auf seinen Arm und trug es zum: lenster. War er gerührt oder zornig? Ed- mea verstand ihn nicht. Er blieb eine Zeit lang unbeweglich am Fenster stehen und blickte hinaus. Fausto umschlang seinen Jlals mit den Aermchen und schwieg, als fürchte er sich, den Vater zu stören. Man hörte plötzlich einen starken Kuß, den Gualtiero auf die Wange des Kindes drückte. „Höre mich an,“ sagte der blasse Mann, so, als wollte er alles wiederholen, „erst die Mama, dann Franz und dann du.“ „Ja,“ bestätigte Fausto fröhlich. Gualtiero blickte umher — nahm dann seinen Hut und verließ das Zimmer. Wo würde er hingehen? Sicher ins Kasino, um von neuem sein Glück zu versuchen. Das würde so fortgehen, so lange noch ein Heller in der Kassette lag — so lange bis ihr ganzes Geld verloren war. Die Tränen stiegen ihr in die Augen, sie verbarg ihr Gesicht zwischen den Händen, damit Fausto sie nicht bemerke, der mit einem Blumenstrauß spielte, den er gefun den hatte. Es klopfte. — Sie schrak zusammen. — „Herein!“ Ein gleichgültig dreinschauender Kellner trat ein und servierte ihr auf einem sil bernen Teller ein Blatt Papier. „Was ist das?“ fragte Edmea, während sie die Reihe von Zahlen anstarrte. „Der gnädige Herr hat die Rechnung be stellt“, sagte der Kellner. „Die Abreise wurdo für heute abend festgesetzt.“ Edmea sprang auf und blickte ihn ganz verstört an. War es möglich? Lachte er nicht? War es keine Lüge? Mit Anstrengung beherrschte sie sich und sagte: „Es ist gut.“ Der Kellner verneigte sich und verließ das Zimmer. „Fausto“ , rief Edmea. Sie lief auf den Kleinen zu und schloß ihn entzückt in ihre Arme. „Der Papa führt uns heim! Wir werden Weihnachten zu Hause feiern. Bist du zu frieden?“ Der Kleine beobachtete aufmerksam das Gesicht der Mutter. Ganz erstaunt bemerkte er, daß Tränen über ihre Wangen rollten. „Warum weinst du?“ „Weil ich so glücklich bin“, erklärte Edmea. „Aber wenn ich glücklich bin, dann lache ich!“ „Oh, das macht nichts“, sagte Edmea unter Tränen lachend. „Wir fahren nach Hause. Franz wird viel zu essen bekommen und du kriegst ein Schäfchen.“ „Und du auch etwas Schönes.“ „Ach, das ist nicht so wichtig.“ Weil aber bei diesen Worten sein Ge sicht sich verdunkelte, setzte sie schnell hinzu: „Ja, ja, ich bekomme auch ein Geschenk, ein wunderschönes!“ Fausto atmete auf. Seine Mama schloß ihn fest an ihr Herz und überschüttete ihn mit Küssen und Liebkosungen. „Wer hätte das heute früh gedacht,“ murmelte sie, „wer hätte das gedacht, als ich im Lehnstuhl saß und so traurig war! — Das ist ja wie ein Mirakel! Wie ein: Mirakel!“ Fausto hob den Kopf und strampelte mit den Beinen, bis Edmea ihn herunterließ. Kaum aber hatte er den Boden berührt, fing er an zu springen und zu schreien: „Ja, ja, ich habe ein Milakel gemacht, ich habe ein Milakel gemacht!“ Aber mitten in seinen Pirouetten kam ihm ein wichtiger Gedanke: „Milakel, wie sleibt man das, Mama?“