Wie leben die Präsidenten? Beherrschers von Oester reich jegliche Großartig keit fehlen. Wenn der gelangweilte Wachmann über den Gartenzaun blickt, sieht er vielleicht einen distinguierten alten Herrn mit einem schönen Vollbart, der eigenhändig Unkraut jätet; denn wenn der Bundespräsident auch in Wien sein muß, ganz kann er dergroßenPassion seines Lebens nicht ent sagen, der Landwirtschaft. Es ist wahr, dies Villa- chen in der Perntergasse ist nicht die offizielle Residenz des Staatsober hauptes. In dem histo rischen Palast am Ball hausplatz Nr. 2, der Hof burg gegenüber, wo die Kanzler und Außenmini ster der Habsburg - Lo thringer gewohnt haben, und wo noch heute das Bundespräsident Dr. Michael Harnisch. [Brühlmeyer österreichische Ministeri um des Aeußeren unter gebracht ist, hat man ein paar große Prunkräume für den Bundespräsidenten reserviert, hier empfängt er gelegentlich Gäste, aber dann fährt er wieder nach Hause schlafen •— im Auto, da ihm, zu seinem Aerger, seine Umgebung das Tramwayfahren durchaus nicht gestat ten will. Aber wenn Dr. Hainisch durch die Straßen Wiens fährt, erklingen keine Fan faren, keine Eskorte macht musikalischen Lärm, niemand schreit hurra; es fährt einfach der oberste Beamte eines beschei denen und armen Staates in seine Fünf- zimmerwohnung in der Vorstadt. Aber viel leicht hat er sechs Zimmer? Jeder Oesterreicher respektiert seinen Präsidenten. Es hat noch nie jemand ein Wörtchen gegen ihn gesagt. Selbst der Wiener Witz läßt ihn in Ruhe. Es gibt in dieser spottsüchtigen Stadt nur einen ein zigen Präsidenlenwitz : Ein Herr läuft auf der Gasse einem anderen Herren nach und bringt ihm das Taschentuch, das er soeben fallen gelassen hat. „Oh,“ sagt der so Verpflichtete dank bar, „Sie wissen nicht, was für einen Ge fallen Sie mir erweisen. Dieses Taschen tuch hat für mich einen so großen Wert!“ „Ja, wieso?“ staunt der Finder. „Weil ich der Bundespräsident von Oesterreich bin und nach der Verfassung meine Nase in nichts anderes stecken darf als in mein Taschentuch." Es ist natürlich nicht wahr. Oesterreich verdankt der redlichen Persönlichkeit, dem großen Takt und der hohen Intelligenz seines ersten Bundespräsidenten vielleicht mehr als es wahr hat. Er weiß, obwohl ein abgesagter Feind aller Formalitäten, seine 63 t 2 *