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956 Die Welt aus der Spatzen- gesehen von D er verführerische Sommerabend wehte seinen aufreizenden Duft durch das ge öffnete Fenster des Redaktionszimmers. Aber der Magazinredakteur achtete nicht darauf. Er saß an seinem Schreibtisch, hatte einen Stoß weißen Manuskriptpapiers auf der Tischplatte liegen und grübelte vor sich hin. Seit drei Stunden saß er schon da und zerbrach sich den Kopf nach einer neuen Idee. Er fand keine, trotzdem er verzwei felt an seinem Füllfederhalter kaute und ab und zu den Blick über die hohen Regale wandern ließ, als ob ihm von dorther ein rettender Einfall kommen könnte. Da dies nichts half, begann er verbissen vor sich hinzumurren: „Das ist ein Leben! Immer soll man den Lesern etwas Neues bringen, immer will das Publikum etwas besonders Origi nelles und Phantasievolles im Blatt finden. Es ist doch alles schon dagewesen. „Frauen und Rosen?“ War schon da. „Die Psycho logie der Beine?“ War schon da. „Der Prinz von Wales und die Herrenmode?“ War schon hundertmal da. „Die Frau und die nackte Linie?“ — „Die Diva in ihrem Heim?"— Der schönste Rücken?“ — Alles ab geklappert. Er wollte eben tief aufseufzen, als ein Rascheln ertönte. Der Seufzer blieb un- geseufzt. Was war das für ein Geräusch? Natürlich, da saß wie der eine Maus und knabberte an einem alten Bild aus der Serie „Der Filmstar und sein Lieblingshund". Sofort dachte der Redakteur: „Eine Maus? Könnte man nicht vielleicht etwas über Mäuse schreiben? Wie wäre es mit dem „Liebes ieben der Mäuse?“ Schon dagewesen! Oder vielleicht „Die Maus als Versuchsob jekt für das Verjün- Die Feuerwehr von oben — Der Wochenmarkt aus der Vogel- 957 und Mäuseperspektive Stefan Lorant gungsprobletn?“ Auch nichts Neues ! Es ist einfach ekelhaft!" In seiner Wut ergriff er den Band des Magazins, der neben ihm auf dem Tisch lag, schleuderte ihn nach der Maus. Natürlich verfehlte er sie. Jedoch zu seinemErstaunenbliebsie ruhig sitzen, sahihn mit ihren kleiner glänzenden Augen spöttisch an und piepte: „Du bist ja sehr höflich zu einem Gast!“ Der Redakteur schämte sich sehr über die Zurechtweisung und murmelte: „Entschuldige, ich bin so nervös.“ Die Maus trippelte näher, bis sie vor ihm stand und sagte: „Du warst ja nicht nett zu mir, aber ich will dir trotzdem eine gute Idee geben.“ Wie elektrisiert fuhr der Magazinredak teur auf. „Eine Idee? Das ist ja wunder bar!“ Doch sofort besann er sich auf seine Würde, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und befahl: „Sprich!“ „Höre einmal,“ sagte die Maus, „war um bringst du eigentlich nur Bilder von den Dingen, wie du sie siehst, von der mittleren und einseitigen Perspektive eurer Menschen augen aus? Warum bemühst du dich nicht, die Welt einmal mit den Augen anderer Wesen, beispielsweise von uns Mäusen aus, zu erblicken?" „Wie meinst du das? Was sehen deine Augen eigentlich?“ Sie schüttelte nachsichtig das Köpfchen über seine Verständnislosigkeit. „Begreifst du nicht, daß von meinem niedrigen Standpunkt aus alles ganz anders wirkt als von eurer Warte? Ihr seht die Dinge von gerade aus, wir sehen sie von unten. Du bist ein Mensch, gut, aber für mich bist du ein ebenso sonderbares wie komi sches Wesen. Manches ist ja immerhin bemer kt nswert an dir. Zum Beispiel deine riesigen Füße. Die sind für mich am interessantesten und gefürchtesten. Hochoben in der Luft sehe ich ja noch so ein Etwas, das wohl dein Kopf ist, aber der ist ja so lächerlich klein, daß es sich gar nicht lohnt, darüber zu reden.“ Der Redakteur war etwas gekränkt. „Mein — und aus der Mäuseschau — und von unten