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zielte und die Phänomene mit „Hypno tismus bezeichnete, wusch Mesmers An denken rein. J ustinus Kerner hatte mit seiner Ehren rettung wenig Erfolg erzielt, war er doch durch sein mannhaftes Eintreten für die „Seherin von Prevorst“ selbst zu sehr belastet. Erst durch das Auftreten des gewerbsmäßigen Hypnotiseurs Hansen ( 1879 ) wurde der „Mesmerismus“ unter anderem Namen Gemeingut der Ge bildeten. Das hinderte aber nicht, daß sogar \ irchow bis zum Schlüsse seines Lebens ihn für Schwindel erklärte. Besonders tragisch ist der Fall des Wiener Arztes Ignaz Semmel weis (1818 bis 1865), eines der größten Wohltäter der Menschheit. Denn er erkannte den infektiösen Charakter des Kindbett- liebers und rettete dadurch alljährlich ungezählte Lausende. Aber der Wider stand der Fachärzte, ungeachtet dessen, daß auf seine Anordnung hin die Sterblichkeit der Wöchnerinnen in der geburtshilflichen Klinik in Wien auf ein Viertel sank, rieb den temperament vollen Arzt völlig auf und bereitete ihm einen frühen Tod im Irrenhaus. Aller dings cvar sein Desinfektionsmittel Chlorkalk noch recht mangelhaft. Robert Mayer, dem Entdecker des Ge setzes von der Erhaltung der Energie, wäre es um Haaresbreite ebenso er gangen. Er zog es vor. sich der liebe vollen L ürsorge seiner irrenärztlichen Kollegen durch einen Sprung aus dem Lenster zu entziehen. Zwar brach er sich das Bein, aber er war der Freiheit und der Wissenschaft wiedergegeben. Lord Lister, der Vater der antisepti schen Wundbehandlung ( 1827 — 1912 ), war es, der dem entsetzlich wütenden Hospitalbrancl und der Sepsis ein Ende bereitete, von der seinerzeit im Nuß- baumschen Krankenhaus in München etw a 80 Prozent aller Wunden er griffen wurde, so daß man hier vor 1875 eine wirklich glatte Heilung überhaupt nicht zu sehen bekam. Er wurde zwar vom großen Nußbaum, aber nur sehr zögernd von den anderen leitenden Chi rurgen anerkannt. Vor allem stieß er in England selbst aul viel W iderstand. Und doch grenzten seine Erfolge ans Wun derbare! Aber die neue Theorie war eben unsympathisch! Als Lombroso ( 1855 — 1909 ) den Nach weis erbracht hatte, daß die Pelagra, die damals in Italien fürchterlich hauste, durch Vergiftung mit verdorbenem Mais verursacht wurde, rief dies in Fach kreisen einen Sturm der Entrüstung her vor. Die Iheorie wurde mit einer wahren Wut bekämpft, bis sie sich endlich durchsetzte. Zum Schlüsse noch ein Beispiel aus neuester Zeit. Der große Arzt und ge niale Mensch Carl Ludwig Schleich er zählt es in seinen höchst lesenswerten, „Besonnte Vergangenheit" betitelten Lebenserinnerungen. Lir hatte die Lokal anästhesie entdeckt und vermittels einer Kochsalzlösung, der minimale Dosen Kokain zugesetzt waren, absolute Schmerzlosigkeit erreicht. So konnte er die größten Operationen amUnterleib, an Gelenken, ja Amputationen ohne Nar kose bei absoluter Schmerzlosigkeit vor nehmen. Das völlig neue Prinzip, vom berühmten Bergmann als eine der Groß taten der Chirurgie erkannt, war be reits in mehreren tausend Fällen von Schleich mit Erfolg angewandt worden. Da entschloß er sich im April 1892 auf dem Chirurgenkongreß, der von etwa 8000 Fachgenossen besucht wurde, seine große Erfindung, die den Tod durch Narkose endgültig beseitigte, bekannt zugeben: „Als ich nun schloß: ,So daß ich, mit diesem unschädlichen Mittel in der Hand, aus ideellen, moralischen und strafrecht lichen Gesichtspunkten es für nicht mehr erlaubt halte, die gefährliche Narkose da anzuwenden, wo dieses Mittel aus reichend ist', da erhob sich ein Sturm der Entrüstung, der mich beinahe um geworfen hätte, so verblüfft war ich. ßardeleben läutete lange die Glocke. Als sich das Getöse einigermaßen gelegt hatte, sagte er: .Meine Herren Kollegen! Wenn uns solche Dinge entgegen- geschleudert werden, wie sie in dem Schlußsatze des Vortragenden enthalten 94