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nun ist es mittags, und dann leert sieh langsam der Platz. So fängt der erste Tag der Pilger an, «lie da in den „trains blanc-s“ ankommen, den großen Krankenzügen, mit Liege vorrichtungen für die Kranken, gestopft voll, mit Krankenschwestern und Pfle gern, mit dem Bischof oder Erzbischof der Diözese, dem weltlichen Leiter, dev die ermäßigten Billette besorgt, und mit einem Arzt. Wenn sie ankommen, ver teilen sie sich in der Stadt — die großen Unterkunftsbaracken gibt es nicht mehr. Die Frommen gehen gleich nach der Ankunft zum Gottesdienst, zum Quellen- had, zur ,,piscine“; große Anschläge ver künden überall in der Stadt den Dienst des betreffenden Zuges, alles ist Tra dition, vorausgesehen, eingespielt. Ich sehe mich in den Hospitälern um. im Krankenhaus Notre-Dame-des-Dou- leurs, und das trägt seinen Namen mit Hecht; im Asyl, das nahe der Basilika liegt. Da ist der große Speisesaal mit den langen Tischen sauber gedeckt; schiebt man die Querwand beiseite, so sehen die Kranken in eine Kapelle und können so dem Gottesdienst beiwohnen, der für sie abgehalten wird. Im Xov- garten, auf allen Wegen: Kranke und Kranke. Man sieht schreckliche Ge sichter. Bevor es wieder beginnt, gehe ich durch die Kirchen. Die Basilika hoch oben, eine kleinere Kapelle und eine Krypta. Alles blinkt vor Neuheit, die Wände überladen mit Gold, Schmuck und Ornamenten. Votivtafel an Votivtafel. Kriegsorden, Haarlocken — eine Ver krüppelte hat unter Glas und Kähmen die braunen Nägel aufbewahrt, die ihr durch die Hand gewachsen waren und von denen sie nun befreit ist. Auf den Tafeln selten ein voller Name — immer nur die Anfangsbuchstaben. Die Bänke sind jetzt nicht so überfüllt, auch einige Beichtstühle sind leer, was sonst den ganzen Tag nicht vorkommt. Die Gläu bigen, die hier umhergehen und alles be wundern, tragen Abzeichen — jeder Pil gerzug hat das seine. Man sieht silbrige Münzen und bunte Bänder aller Farben und Länder. Einmal höre ich deutsch sprechen. Um drei Uhr nachmittags ist der große Platz gesperrt, die Itänder summen und wimmeln an den langen Leinen, mit denen er abgegrenzt ist. Hier wird nach her die große Prozession entlanggehen, und obgleich es noch lange nicht halb fünf ist, stehen und sitzen da schon viele Frauen mit Kindern und auch Männer. Sie haben sich Klappstühle mit gebracht, die man für drei Francs kaufen kann, und warten da unter den Bäumen. Noch werden viele Kranke an die Grotte ge rollt und zum Bad; nachmittags sind es die Schwerkranken, die gebadet werden. Wieder stehen alle dichtgedrängt um den Priester, wieder ruhen die Kranken auf den Stühlen, wieder schallen die Gebete. Lauter, lauter. „Hosanna, liosanna au Fils de David!' 1 Erst klingt mir das Wort ..Hosianna 11 in der französischen Version fremd, dann bleibt es haften. Sie sprechen es mit vielen n in der Mitte, wiegen sich im Klang. Und nun kommen schon die ersten Fahnenträger. Sie stellen sich an der Grotte auf und singen, die Kranken werden einzeln abgefahren; man stellt sie auf den großen Platz in die erste Keihe. Da liegen sie auf Bahren, sitzen auf ihren Stühlen. Hinter ihnen die Massen. Halb vier Uhr. Eine riesige Prozes sion formt sich, die Spitze steht auf der langen Esplanade, alle haben die Basi lika im Rücken — denn sie werden erst den Rasenplatz umschreiten, mit dem Heiligen Sakrament in der Mitte. Oben die Plattform der Kirche ist schwarz vor Menschen, die beiden Rampenarme sind frei und leer. Die Träger sperren sie ab. Da kommt die Prozession. Es mögen nach der Augenschätzung vielleicht zehntausend Menschen sein, die Nachprüfung ergibt annähernd die Richtigkeit. Sie schreiten langsam, Ge sang schallt, man kann noch nicht hören, was sie singen.