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DER NOMADE Novelle von Ed v ar d Ji^elle~ S trand Zeichnungen von R. DiederiJi „Satanas Pergele!“ Unter diesem finni schen Schwerfluch stieß der alle säbel beinige Matti Sirola so wuchtig an die Tür, daß der Staub aus den alten verrosteten Angeln stob. Ein kalter Windstoß füllte den Hüttenraum, und der blakende Talg stumpf auf dem Tisch ging aus. Der alte Finnenhund, der im Dunkeln einen Frem den im Raume glaubte, schnappte mit bösem Knurren nach Mattis Bein, zog sich aber sofort zurück, als er seines Herrn Stiefeltritt erkannte. Matti Sirola war sternhagelvoll. Er hatte bei einem Renntier-Lappen ein übles Gesöff von Branntwein hereingegossen. Jetzt grub er ein Streichholz aus der Hosentasche, entzündete von neuem den Lichtstumpf und zog dann den Hund am Genick vor. „Verdammtes Luder!“ brüllte er und drosch auf das Tier los, daß sich sein borstiges Fell sträubte. Aber das dick- schädelige Luder biß ihm tückisch in die Hand. Blut floß herab. „So ein Schwein, umbringen werd ich dich!“ brüllte der Betrunkene und zog 54 sein Messer, um mit dem widerspenstigen Tier kurzen Prozeß zu machen. „Tu’ das nicht, Großvater!“ piepste eine dünne Knabenstimme irgendwo aus dem Halbdunkel. Der Anruf schien den Lappen halb nüchtern zu machen, und mit einem kräf tigen Straftritt ließ er den Hund los. Knurrend war die rachsüchtige Töle auf dem Sprung zu einem neuen Beinangriff, aber der Junge verhinderte ihn. „Hier gehst du her, Musti“, lockte er, und der Köter schlich zu ihm in die Ecke. „Wo steckst du, Juhani?“ rief der Lappe und tastete herum. So schlecht sah er in letzter Zeit, daß er sich in seiner eigenen baufälligen Rumpelhütte nur schwer zurechtfinden konnte. „Hier, Großvater“, krähte die Stimme aus der schwärzesten Ecke. „Aber wenn du mich schlagen willst, hetz’ ich Musti auf dich los.“ Das Tier schien genau zu verstehen, was der Junge sagte, und bleckte drohend mit den Zähnen. „Nein, nein, ich tu’ dir nichts, Juhani“, quäkte der Alte. „Ich hab’ heute einen sitzen, und da bin ich immer gut. Komm, steck mit mir die Tür wieder fest.“ Eine dünne Knabengestalt kroch aus dem Versteck. Die hervorstehenden Rackenknochen in dem gelblichen Ge eicht führten eine beredte Sprache über die Portionengröße in der Lappenküche. Ungekämmt hing der schwarze Haarwust über die Stirn und verdeckte fast die dunklen Augen. Es war kein leichtes Stück Arbeit, die Tür wieder in das Angelwerk zu bringen. Es kreischte in dem rostigen Eisen, als der Lappe sie endlich zuhämmerte. Juhani war Mattis Tochtersohn. Seine Mutter, ein junges Ding mit den gleichen Säbelbeinen, war in einer der weißen Sommernächte in Salmijärvi der Ver suchung erlegen. Am Ufer des großen Sees hatte sie einen Mann getroffen, der von einer anderen Rasse war — groß und blond, und sie waren zusammen ins Heidengestrüpp gegangen. Dann war er seines Weges gezogen, und sie hatte ein Kind bekommen. Sie hatte keine Ahnung, wie er hieß. Sie wußte nur, daß er um herreiste und auf ein großes Brett Striche malte. Matti hatte keinen Krach ge schlagen, als er seiner Tochter Schwanger schaft entdeckte. Es w$r ja etwas ganz Gewöhnliches, daß ein Mädchen in den Heidehecken von Salmijärvi seine Un schuld verlor. Und den Alimentations beitrag hatte er als ein großes Plus be trachtet, mit dem er bestimmt rechnete; um so enttäuschter war er, als Zandra keine Spur von dem Kindesvater hatte. Die Geburt des Jungen blies der Mutter das Lebenslicht aus, und statt einer festen Einnahmequelle blieb der Balg für Matti eine Bürde. Matti war zum Lensmann gelaufen, aber der wußte auch nichts. Es treiben sich so viele Kerls im Sommer bei Salmi järvi herum, war seine Antwort. Die Obrigkeit hat einen Ileidenrespekt davor, die Großen zur Verantwortung zu ziehen, räsonnierte Matti für sich und mußte seine Suche nach Zandras Kerl und Kindesvater aufgeben. Da sich die Mutter aufs Totenbett gelegt hatte, mußte er nun allein den Balg aufpäppeln. Und gerade so weit nahm er sich des Jungen an, daß dieser nicht krepierte. Tiefergehende Ver pflichtungen glaubte der Lappe nicht zu haben. Als der Junge so groß war, daß er Matti zur Hand gehen konnte, kam für diesen die zweite Enttäuschung. Juhani 55