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GEHEIMNIS VON BENIN VON GEORG FRÖSCHEL E s gab eine große Sensation in dem Auktionshaus von 'Owen and Sons in Lon don. Der Versteigerungsleiter hatte „sechs Bronzeplatten mit bildlichen Darstellungen“ zum Schätzungspreis von fünf Pfund ausgerufen, und während keiner der berufsmäßigen Händler ringsum ein Angebot wagte, hatte ein großer, blonder Herr sechs Pfund, ein alter, ein we nig verwachsener Silberhaariger sieben Pfund geboten. Und so steigerten sich die beiden Ri valen rasch immer höher hinauf, bis schließlich der große Blonde die sechs Platten für 96 Pfund an sich brachte. Die Händler hatten den Kampf mit solchem Interesse verfolgt, weil sie wußten, daß es sich nicht um zwei beliebige, eigen sinnige Kunstliebhaber, sondern um den Agenten des Museums für Völkerkunde in Berlin und den Bevollmäch tigten des Natur historischen Museums in Wien handelte, die da so erbittert um den Besitz der sechs verwitterten Bronzeplatten stritten. Die Kunsthändler vermuteten ein großes Geschäft und sahen sich die Bronzedinge, um die sich zwei große staatliche Sammlungen so eifrig be müht hatten, genauer an. Es waren qua dratische und rechteckige Platten aus einer patinierten Metallmischung, aus deren ebenem Grund sich seltsame Gestalten in Reliefdarstellungen hervorhoben. Männer in der Tracht des XV. und XVI. Jahr hunderts befanden sich darauf, dann wie der Negergestalten, ein König auf dem Ihron sitzend, neben ihm sein Gefolge, die Königin begleitet von ihren Neger damen und allerlei wildem Getier. Keiner der kunstverständigen Männer war sich klar darüber, woher die Platten stammten, deren wunderbare Arbeit erst jetzt allen zum Bewußtsein kam. Der Auktionskatalog enthielt nichts als die knappe Mitteilung: „Funde aus West afrika.“ Seltsam, höchst seltsam! Die Platten waren schön, sehr schön sogar, sie hatten ihren besonderen Stil, aber keiner konnte mit Bestimmtheit sagen, ob es europäische Arbeit war, was man da vor sich hatte, oder das Produkt einer höchst eigentüm lichen, besonders hoch entwickelten Neger kunst. Jedenfalls beschlossen die Kunst händler, ein scharfes Auge auf dieseFunde aus Westafrika zu haben, die berufen schienen, auf dem Kunstmarkt eine ganz besondere Rolle zu spielen. Doch die Klugheit der Händler kam zu spät. Geheimrat Felix von Luschan, der Direktor des Museums für Völkerkunde in Berlin, traf einige Tage später in Lon don ein und ließ für einen riesigen Be trag durch Vermittlung eines Kaufmanns in Lagos an der südafrikanischen West küste alle Funde gleicher Art aufkaufen. Der internationale Kunsthandel war bei diesem Geschäft völlig ausgeschaltet, doch es gelang ihm, auszukundschaften, woher die wunderbaren Bronzeplatten, diese Zeugnisse einer versunkenen, glanzvollen Kunstepoche, stammten. Das Zauberwort „Benin“ setzte alle Kunstliebhaber, alle Kunsthändler der Welt in Erregung. Benin? — Man begann sich zu erin nern. Benin, das war doch das Negerreich nördlich vomNigerdelta, ein sumpfiges,von Halm aus Erz Die Guljtedinik wircl von den besten Tierplastiken der Renaissance nidit übertroffen. 6 7