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„Ganz leicht, Harris, ganz leicht: ein volles Quart Whisky, Harris, wenn du jetzt vom Fleck weg zu Miß Emily Lycett gehst und ihr einen Heiratsantrag machst.“ Ein Zischlaut lief durch die Menge. — Weiter nichts. Einige Köpfe wiegten sich bedenklich. Alles blickte gespannt auf Harris Taylor. Der war zusammengezuckt wie unter einem Schlage. Nervös kraute er sich eine Weile hinter dem Ohr. Endlich schlen kerte er die Hand beiseite und ließ klein laut die Schultern sinken. „Könnte es nicht etwas anderes sein?“ fragte er schüchtern. „Nein, Harris. — Du fürchtest dich wohl?“ Fürchten? Warum sollte er sich vor Miß Emily Lycett, der Lehrerin von Goldfield, fürchten? Sie war weder so alt, noch so häßlich, noch so kräftig, daß man sich vor ihr hätte fürchten müssen. Andererseits war sie auch nicht etwa solch eine hoheitsvolle Schönheit, die durch einen hindurchsieht, wie wenn man aus Luft wäre. Nein, zum Fürchten war Miß Emily Lycett wirklich nicht. Einen Re volver konnte sie bestimmt nicht führen. Und daß sie mit solch blitzhaft heim tückischem Jiu-Jitsu-Griff einen auf ir gendeinen entlegenen Schutthaufen ab drehen könnte, danach sah sie gleichfalls nicht aus. Überhaupt fürchten, sich vor Miß Emily Lycett fürchten? — Gewiß, sie war ein junges, leidlich hübsches Mädchen. Gott möge noch nachträglich den Wind strafen, der gerade dieses reine, taufrische Blatt mitten in diese entlegene, rauhe Welt voll verkappter Teufel ge weht hatte. — Wenn man es vielleicht einmal erleben sollte und wäre ein alter Kerl, und man hätte vielleicht einmal eine Tochter, die so etwas an sich hätte von Miß Emily Lycett! —■ Der alle Kinder von Goldfield, diese Schmierfinken und verlotterten Bamboosen, zuflogen und blindlings gehorchten. Und vor der die gemeinsten Halunken scheu beiseite tra ten, weil sie plötzlich merkten, daß sie gemein waren, und fürchteten, daß „sie“ es auch merken könnte. Denn, so weich und sanft und zutraulich Miß Lycett war — wehe, wenn einmal einer anfing, aus der Bolle zu fallen! Ihre Augen hatten dann eine so seltsame Art des Nichtver stehens und Nicht-wissen-Wollens, daß • selbst der ärgste Sünder sich betreten um blickte, um irgendwo Deckung zu finden. — Und nun, betrunken wie eine Unke, vor sie hintreten - und das um ein Quart Schnaps Harris Taylor schaute sich im Kreise um. Dicke Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn. Er sah, daß die anderen genau so kurz und schwer atmeten, wie er selbst. Aus Furcht vor dem bloßen Gedanken. Er wischte sich beschämt übers Ge sicht. „Ein Quart Whisky, Harris!“ rief der Partner und lachte ihm spöttisch in die Augen. Er schüttelte den Kopf. Denn er konnte nicht sprechen. Die Zunge klebte ihm am Gaumen. „Ein Quart Whisky, Harris! — Bist du kein Mann mehr?“ Taylor hob die schwere Faust. Seine stieren Augen röteten sich vor jäher Wut. „Kostprobe gefällig, Harris?“ quälte der Verführer ungerührt und hielt ihm ein großes Glas Whisky entgegen. Die Faust löste sich zur Kralle. Mit einem Buck goß Taylor den Whisky in die Kehle. Ein rauhes Stöhnen drang aus tiefer Brust. Fortsetzung auf Seile 108 7 «