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Bei jenen sellsamen Todesfällen ließ sich min aber die Frage: cui bono? auch noch auf andere Weise beantworten. Es war näm lich noch zu Lebzeiten des Großherzogs Earl auf dein Wiener Kongreß zwischen Bayern und Österreich die geheime Abmachung ge troffen, daß bei dem Aussterben der Zälirin- ger Manneslinie Baden zwischen jenen bei den Ländern aufgeteilt werden sollte. Ins besondere trachtete der damalige Kronprinz, spätere König Ludw'ig I. von Bayern, sehn lichst nach dem Wiedererwerb des nörd lichen Teils von Baden, um die Verbindung der linksrheinischen Pfalz mit dem rechts rheinischen Bayern herzustellen; ein Plan, der nur dadurch vereitelt, wurde, daß Karl noch kurz vor seinem Tode auf dem Kon greß von Aachen die Anerkennung der Suk zessionsfähigkeit der Ilochbergschen Linie durchsetzte. Da nun Hauser in Bayern auf- lauchte, also vermutlich auch dort gefangen gehalten wurde, da das Schloß, in dem man jetzt seinen Kerker gefunden zu haben glaubt, bayerisches Lehen war, da endlich feststehl, daß König Ludwig T. sich ganz besonders für die Ilauserschc Sache inter essiert und immer die Ansicht vertreten hat, Kaspar sei ein Zähringersproß, so lag es nahe, den Verdacht auch nach dieser Seite zu lenken. Allerdings erhebt sich auch hier wie der die Frage: warum nicht Beseiligung stall geheimer Auferziehung? Nach Klara Hofers Vermutung sollte auch in diesem Fall Hau ser als „wertvolles Pressionsobjekt“ dienen, und zwar gegenüber den Höchbergs, die man durch die Drohung mit dem Wiederauf tauchen des echten Thronfolgers zu freiwilli gem Verzicht auf den von Bayern bean spruchten Landesleil zwingen konnte. ln schroffstem Gegensatz zu diesen und ähnlichen Hypothesen, die alle von der Vor aussetzung ausgehen, Hauser müsse eine po litisch hoebbedeutsame Persönlichkeil ge wesen sein, sieht nun die andere, die ihn, für einen hergelaufenen Betrüger, die ganze Geschichte seiner Einkerkerung für Schwin del, die beiden Mordversuche für fingiert hält. Diese Ansicht wurde schon bald nach Hausers Auf tauchen von dem Polizeirat Mer ker in Berlin öffentlich ausgesprochen. Es haben sich ihr auch mehrere Personen, die Hauser aus täglichem Umgange genau kann ten, nach anfänglichem Widerstreben ange schlossen; so der Polizeileulnanl llickel, der Lehrer Meyer in Ansbach, ja sogar Hausers Protektor, Lord Slanhope: und sie ist dann namentlich in der 1873 erschienenen Schrill ,.Authentische Milleilungen über Kaspar Hauser“, die das gesamte erhaltene Vklen- malerial .verwertet, vertreten. Die Anhänger dieser Meinung stützten sich zunächst auf die großen inneren und äußeren Unwahrscheinlichkeilen der Kerkergeschichle, sodann auf die Aussagen der ersten Personen, mit denen Hauser in Nürn berg in Berührung kam, die an ihm viel größere körperliche und geistige Fähigkeiten bemerkten, als er später wahrhaben wollte, ferner auf die näheren Umstände der beiden Attentate, die den Verdacht der Selbstver letzung nahelegen, endlich auf den Charak ter Hausers, der nach dem Zeugnis vieler, die ihn länger beobachteten, keineswegs so harm los war, wie er anfangs erschien, vielmehr zur Lüge und Verstellung neigte. Die Geg ner berufen sich demgegenüber auf die oben erwähnten körperlichen Eigentümlichkeiten Hausers, auf die Unwahrscheinlichkeil einer so langjährigen Verstellung und so ernster Selbstverletzung; sie führen die bedenklichen Seilen seines Wesens auf den ungünstigen Einfluß seiner Umgebung, auch wohl auf seine Gewöhnung an Fleischnahrung zurück. Eine eingehende Kritik aller dieser Er klärungsversuche würde den hier zur Ver fügung stehenden Baum überschreiten. Ich muß mich mit einigen wenigen Andeutun gen begnügen. Was zunächst die Theorie von der badischen Herkunft betrifft, so fehlt ihr vor allem die Beglaubigung durch irgendein authentisches Dokument. Alles, was man in dieser Hinsicht beigebrachl hat -- so der Auszug aus den Memoiren des Majors Ilen- nenhofer, das Protokoll über eine Sitzung des badischen Slaalsrats, eine kompromittie rende Kabinettsordre des Großherzogs Lud wig —, hat sich als unecht erwiesen. Ebenso wenig läßt sieb allerdings die Hypothese auch aktenmäßig widerlegen. Die badische Legierung hat getan, was sie tun konnte, Fortsetzung auf Solle io'i 74