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D er k D ie Familie Choltay war noch zu Beginn des achtzehnten Jahrhun derts berühmt. Aber drei Jahr zehnte später redete man von den Chol- tays wie von Leuten, die mehr „waren“, als sie „sind“. Endgültig gingen sie im Fasching zugrunde, als sie mit Herrn Grassalkovich in verschwenderischen Narreteien um die Huld der schönen Königin Maria Theresia wetteiferten. Als Abraham Choltay zur Zeit des Napoleoni- schen Rummels zum Mann herangereift war, da blieb für ihn nur mehr das Klein geld. Dieses aber brachte er in den von Wirren erfüllten Jahren gründlich an. Nachdem er aus dem Kriegsspiel ohne Ruhm und Ehrengaben heimgekehrt war, reichten die Schulden bis zum Dach. W'ie hartköpfig Choltay auch war, die Schlappe beugte ihn doch recht nieder. Schulden galten zwar auch etwas; man sagt sogar: je größer sie sind, desto besser kann man davon leben. Doch von da ab konnte er nur mehr rauchen, prahlen und flu chen. Abraham verlegte sich auf Pfauen- stolz, er lebte vom Hochmut seiner Familie und nach alter guter Ungararl auch vom Prozessieren. Auf Leben und Tod stritt er mit dem Grafenzweig der Familie, den „Lakaien“, wie er sie nannte. Verächtlich bemerkte er wieder einmal: „Selbst ihre Adelskrone hat Junge bekommen! Jawohl, aus fünf sind neun Zacken geworden.“ Sich seinem Sohne zuwendend, eiferte er weiter: „Trotzdem bist du der richtige schte Zeichnungen v o t Choltay und nicht dein reicher Vetter Graf Christoph.“ Sein Sohn Valentin war des ergrauen den Abraham ganze Wonne. Von ihm erwartete er die Wiederherstellung der zugrunde gerichteten Familie so zuver sichtlich, daß er mit dem Kind als einem zu Großem berufenen Sprößling schon im voraus mit einer gewissen Ehrfurcht umging. Wurden beide zu einem fest lichen Mahl eingeladen, so setzte der Vater stets den Sohn auf den ihm angebotenen Platz und sagte: „Dir gebührt er, Junge, nicht mir. Du hast als mein Sohn einen Ahnen mehr als ich.“ Eines Tages beschied er seinen Sohn zu sich und fuchtelte zornig mit der Hunds peitsche herum. „Nun, Junge, was wird? Ich habe dich dazu erzogen, daß du den alten Glanz unserer Familie wiederher stellst. Kein Fleckchen Erde ist mehr von unserem alten Besitz vorhanden, statt W eizen wachsen nur Schulden, in kurzem wird man uns selbst das Dach weg tragen.“ Der Sohn blickte den Vater an und er riet seine Gedanken. „Gut,“ sagte er, mit der Achsel zuckend, „ich werde heiraten.“ „Wohin willst du zu diesem löblichen Zwecke gehen?“ „Weit, weit, lieber Vater. Ich habe ge hört, wo die reichsten Mädchen den Som mer zubringen. Eine vornehme Ausstaf fierung und Kleingeld gehören aber dazu.“ „Du sollst das Kleingeld haben, aber die Ehe muß termingerecht geschlossen 86 Scklokk Rudolf Schlichter werden! Vier Monate Zeit haben mir die Hyänen gegeben.“ Valentin zögerte nur einen Augenblick. • „Gut,“ sagte er dann bestimmt, „inner halb der vier Monate führe ich das Mil lionenmädchen heim. Hier meine Hand.“ Der Alte schlug kräftig ein. Nach diesem Handschlag fragte Abra ham seinen Sohn nicht mehr, wohin er reisen wolle. Es ist seine Sache, dachte er. Er rief seine „Hyänen“ zu einer großen Beratung zusammen, und man sagt, die Gläubiger selbst waren es, die Valentin in Erwartung seiner zukünftigen Millionen zu seinem Auftreten im Ausland die vornehme Ausstaffierung und das nötige Kleingeld zur Verfügung stellten. Nach einigen Wochen stieg Valentin als englischer Dandy gekleidet in einen vier spännigen Wagen. Prächtig sah er aus. „Wohin fährst du denn, mein Sohn?“ fragte der Alte im letzten Augenblick. Gut gelaunt rief Valentin: „Sie wissen ja ohnehin nicht, wo der Ort liegt, Vater. W enn Sie es aber durchaus wissen wollen, nach Baden-Baden. Gott segne Sie!“ Baden-Baden war zu Anfang der vier ziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts der meist besuchte Badeort Europas. Un zählige reiche Fremde pilgerten nach dem anmutigen Oostal, zu der wunderwirken den „Ursprungsquelle“. In den berüch tigten Sälen der Spielbank trafen sich die abenteuerlichsten und elegantesten Kava liere. Mit diesen Glücksrittern zu kon kurrieren, muß also wahrlich schwer err Eine echt ungarische Ges Juchte von Julius Pe ha r gewesen sein, und dennoch finden wir in der Chronik der damaligen Saison, daß „der ungarische Nabob Monsieur Valen tin de Choltay“ die erste Rolle als Mode könig gespielt hat. Wie hat Herr Valentin das zustande gebracht? Vor allem dadurch, daß er nicht lange ein Neuling blieb; die Spiel bank blendete ihn nur solange, bis er nach einigen märchenhaft glücklichen Nächten zu verlieren begann, dann ging er nicht mehr hin und schaffte sich vom Gewinn eine zweite, derart vornehme Ausstaffie rung an, daß sich schon nach einigen Tagen alle Gäste Baden-Badens nach ihm umwandten. Schön war sein englischer Wagen, schön sein Reitpferd, am aller schönsten war aber doch er selbst : ein vollkommener Pariser „Löwe“, aber nicht einer von der sentimentalen Art, nein, einer mit blitzenden Augen, der in ein Ge heimnis gehüllt umherging. Romantisch war die Welt damals ge stimmt, und die so leicht ohnmächtig und melancholisch werdenden jungen Damen staunten Valentin auf der Promenade des Weltbades nur so an. Wer war dieser orientalische Nabob? Was mochte er wohl für einen heimlichen Kummer haben, daß er sich mit ihnen gar nicht in ein Ge spräch einließ? Und bald schossen die Legenden wie Pilze um Herrn Abrahams Sohn empor; wie reich er sei, wie viele Schlösser und Güter er besitze, dort hinten irgendwo in den Wildnissen des Balkans oder in Ungarn ... 87