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B e i ck t m ii 11 e r f ü r Bkekonflikte? Ein Brief an Karin Michaelis von Stefan Grofimann (Zu dem A r t i l e 1 „Die erschütterte E h e " in Heft 6 des „Uh u “) Als ich die Ausstellung von erschüt terten und gebrochenen und schlecht ge leimten Ehen in dem erfahrungsgesättig ten Aufsatz von Karin Michaelis be trachtete, fragte ich mich: Warum gibt es Spezialisten für Konkurse, Nerven krankheiten, Auswanderungsfragen, re ligiöse Probleme, warum aber gibt es in aller Welt keinen weisen und selbstlosen Ratgeber, an den man sieh im Falle einer Ehekrise vertrauensvoll wenden kann. Jedermann weiß, daß es eine ewig blaue Ehe, ganz ohne Krisenperioden, mindestens heutzutage nicht mehr gibt, es ist ja nicht ganz sicher, ob dieser ewig wolkenlose Ehe-Himmel überhaupt je existiert hat. Aber, warum, frage ich, warum muß so eine arme, von der ersten Enttäuschung niedergeschmetterte Frau so ganz allein, rat- und hilflos in der Welt stehen, warum muß sie diese schwerste berufliche Pflicht gewöhnlich ganz isoliert aus löffeln? Insofern hatten es frühere Gene rationen leichter. Unsere Großmütter konnten unbeirrt zu ihren Seelsorgern kommen und dort ihr Herz aussehütten, und, wie die Psychoanalytiker uns über zeugend versichert haben, schon dieses Ausschütten bedeutet ja eine Erleichte rung. Zu wem soll die junge Frau, das Mädchen, welches die erste, vielleicht aber notwendige „Enttäuschung“ erlebt, zu wem soll es gehen? Seelenberater fehlen! Ich frage Sie, Frau Karin Michaelis, die Sie offenbar viel Ehekummer gesehen haben und doch nicht stumpf geworden sind: Wären Sie nicht ein wahrhaft nütz licher Ehe-Berater? Das bürgerliche Gesetz, das vor jeder Trennung einer Ehe einige „Versühnungstermine“ vor- sehreibt, ist in der Theorie sehr weise. Und, was glauben Sie, wieviele Effie Briest hätte der alte Theodor Fontane I 02 begreifen und milde beraten können? Es sind, Gott bewahre, nicht eben nur Dichter oder Schriftsteller zu solchem Ehe-Konservatorenwerke fähig, viel mehr gibt es hunderte lebenserfahrener und menschenfreundlicher Leute, die ihre eigene Jugend noch nicht vergessen haben — sie würden sich ausgezeichnet zu solchen Beichtvätern eignen und sie könnten armen, durch Eigensinn und Blindheit und viel zu viel Vorsätze be engten Eheirrern im richtigen Augen blick ein bißchen Vernunft, ein bißchen Güte, ein bißchen Objektivität beibrin- gen. Seien wir aufrichtig: Wir alle, die wir gehen und stehen und liegen, sind als Ehepartner noch viel zu strenge mitein ander, und je mehr Ideale wir haben, desto unerbitterlicher sind wir, weil wir verlangen, daß man unseren Idealen un bedingten Gehorsam leiste! . . . Die Zeiten der hermetisch abgeschlos senen Ehen sind vorbei! Aufrichtig ge sagt, es stand in den glücklichen Ehen unserer Vorfahren zuweilen eine etwas muffige Luft. Die neue Ehe ist luftiger, sie ist freier, sie ist gewiß auch gefahr voller, aber sie ist, glaube ich, in ihrem Sturm und in ihrer Stille, in ihrem Kampf und in ihrem Frieden beglückender als das doch etwas lote Eheverhältnis ver gangener Zeiten. Diese neue Ehe, in der Trrungen nicht immer zu vermeiden sind, kostet Herz blut, Hirn, Nerven, kostet ein Leben. Aber eben weil ein neues Nebeneinander von Mann und Frau im Entstehen ist. eben deshalb sollten die alten Begriffe nicht ohne weiteres übernommen werden, und deshalb sind heitere, unerfahrene Ehe- berater und Eheerhalter dringend nötig. Wie wäre es, Karin Michaelis, wenn Sie — ernsthaft — Sprechstunden für Ehekonflikte eröffneten?