Volltext Seite (XML)
Im übrigen ist das ganze Gebiet der Be ziehungen zwischen Mann und Weib ein großer Reklamerummel. Ist es nur Reklame, wenn jemand sein zwar leeres Portemonnaie, aber um so volleres Herze in den Zeitungen anpreist? Und wer macht die stärkere Reklame, die stärkere „Werbewerbung“, der Mann oder das Weib? Von Frau Potiphar bis zur Kaiserin Katharina gibt es unter den Frauen charakteren unzählige, denen das Werben an gemessener ist als das Umworbenwerden. Und neben den Schwächlingen und Pan toffelhelden, die sie leicht erbeuten, gibt es viele Männer, die der Frau gegenüber nur zu leicht ein Opfer des Anstandsgefühls werden. Das ist ein merkwürdiger psychologischer Vorgang. Trifft einen solchen Mann der interessierte Blick einer Frau, so würde er peinvoll befürchten, sie zu kränken, wenn er ihn nicht erwiderte. Und selbst wenn ihn die nähere Bekanntschaft mit jener Frau ent täuscht, mag er nicht von dem einmal be- schrittenen Wege abweichen. Er will nicht als Schürzenjäger gelten. Er fühlt sich — nur um die Frau nicht zu beleidigen — zum ersten Kuß im Mondenschein verpflichtet. Das Milieu und die sichtliche Bereitschaft der Frau zwingen ihn dazu. Und eines Tages wird er von dieser seltsamen, aus dem Nega tiven wirkenden Werbekraft nicht kränken könnenden Feingefühls in eine ungewünschte Ehe getrieben. Auch der Mann ist, oft ohne es zu wissen, ein großer Reklameheld seiner selbst. Viele Männer stellen mit oft geschickt verborgener Eitelkeit, etwa einer betonten Zurückhaltung, ihre Vorzüge aus. Reklamewirkung haben vor allem die großen physischen und gei stigen Leistungen. Eine Armee von Frauen verfolgt siegreiche Boxer und Sportsleute mit Anträgen. Eine kleinere Armee setzt sich auf die Spuren von Sängern, Dichtern und son stigen Künstlern. Und die Werbewirkung der geistigen Leistung kann so stark sein, daß die Liebende selbst körperliche Fehler des Geliebten übersieht oder — man lese bei Stendhal über „Kristallbildung“ nach — so gar in ihre entflammte Leidenschaft ein bezieht. Wo hört hier das „normale Emp finden“ auf? Keine Morallehre, keine Philo sophie, kein gesellschaftliches Diktat, keine Drohung kann verfangen, wenn die Reklame wirkung eines Menschen auf einen anderen überstark ist. Er ist der „Unwiderstehliche“. Reklame ist alles, was einen Menschen beim anderen anzieht, Reklame ist deine Stimme, dein Gang, die Linie deiner Nase, der besondere Duft deiner Haut. Alles wirbt für dich dort, wo der rechte Partner die Sinne öffnet. Die Reklame der mensch lichen Erscheinung, die Reklame der Ero tik wendet sich nicht „an alle“, sondern nur an diejenigen, die entsprechenden Sin nes sind. „Wie lernten Sie Ihre Frau ken nen?“ — „Ich hörte ihre Stimme im Tele phon. Da wußte ich: die oder keine!“ — „Wie lernten Sie Ihre Frau kennen? — „Wir saßen in dem gleichen Bureau. Ich lernte ihre berufliche Tüchtigkeit kennen. Nun ist sie meine Geschäftsführerin?“ Und wenn der eine Mann entzückt der Reklame einer eleganten Erscheinung verfällt, beugt sich der andere vielleicht der Reklame einer besonderen Einfachheit. Der dritte mag von der sehnigen Kraft einer Tennisspielerin hin gerissen sein, während der vierte von der mütterlichen Wärme einer Kindergärtnerin angezogen wird. Und wie oft sind es nur äußere Dinge an Mann oder Weib, die den Partner „auf den ersten Blick“ besiegen, ein Hut oder eine Gürtelschnalle, ein Handschuh, eine Krawatte, ein Haarschnitt. Sind diese vielen, vielen Menschen, die auf dem Weg über einen solchen Eindruck zur Liebe kom men, Fetischisten? Sind sie abseits des „Nor- malmenschen?“ Das Urteil der Öffentlich keit ist hier oft gedankenlos und eng. Manch einer glaubt pessimistisch, wir hätten alle einen „Knax“. Aber wenn alle einen Knax haben, jeder den seinen, ist es dann noch einer? Lernen wir den strömend übervollen Reichtum der Natur deuten und achten, dann wird die Reklame der menschlichen Erschei nungen, ihrer Gesten und Eigenheiten, das Unheimlich - Geheimnisvolle verlieren und man wird ihr mit humorvollem Gleichmut gegenüberstellen: der ältesten, durchgebildet sten, raffiniertesten und unberechenbarsten Reklame jener Welt, in der es Männchen und Weibchen, in der es Mann und Weib gibt.