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N oroiscker 5 ommer Von A.age JMaJelung Sommerabend in einer Stadt am Fuße der Alpen. Keine Brise, keine Kühlung nach dem heißen Tag. Vom Kino ruft der Gauklerherold: Großes nordisches Sensationsdrama! Beginnt so gleich! Bitte, please, s’ il vous plait! Herabgesetzte Preise für „Die große Liebe!“ Die Augen fallen auf das Plakat. Namen flackern in dem blauen Licht, schlagen ein in die Erinnerung. Gut, so wollen wir uns wieder begegnen. Nehmen Sie Platz, es beginnt: Reklamen für Champagner und Seide, Puder und Gummi . .. die schleichenden Kupplerinnen der Lust. Pause. Der Raum wird dunkel. Das Gespenster licht spielt auf der weißen Leinwand. Da stehen sie wieder, die bekannten, vergessenen Namen. Ein fahles Zucken auf der Fläche des Scheinlebens, und hervor springen zur Vorstellung die Heroen und Ileroinnen der Mimik, die Herren und Herrinnen des Lebens mit pomadisiertem Haar und echten Iränen und vorletzten Gebärden und Moden. Und dann beginnt es. Ein junges Weib in einem freien Walde mit Unterholz. Der Körper leuchtet in dem leichten Sommerkleide . . . Sehr gut, mit einem jungen Weibe und einem selbstleuchtenden Körper zu beginnen, sehr angenehme Einleitung . . . Aber abgesehen davon, was ist das für ein verhexter Wald: er rauscht wie Gefieder, er hebt sich zur Flucht, getragen von dem Hauch des großen Geistes. Der große Geist haucht dem Walde Leben ein. Die Zweige schwan ken; das Laub schwirrt an den Stielen. Ein kühler Luftzug dringt durch Baum und Busch. Er schmeckt nach Salz und See, nach Klee und Kuh, nach Honig, nach den eigenen fernen und ewig nahen Kinderträumen . .. Führe nicht die Hand zum Herzen... zu den Augen: für so etwas ist jetzt nicht die Zeit! Und doch, er geht zum Herzen, dieser Luftzug von der Nordsee her, dies wechselnde Licht in Sonne und Regenschauer, der Hauch um deine W'ange, das flüsternde Laub, das niemals schweigt, der Sommerwind über nor dischem Land . .. In der Kammer unter dem roten Ziegel dach steht das Fenster Tag und Nacht dem Einzug des Hochsommers offen: Willkommen, Sommer, du wechselvoller, was bringst du . . . mit deiner Sonne aus Süden, deinem Regenwind aus Westen, dei nem durstigen Ost und den kältezitternden Worten aus Norden? Wen bringst du mir als Gast? Einen fremden Gast von Ländern und Meeren, den Wechsel vollen, deiner kühlen Meerfrauenhaut und deinem Mohnblüten schoß, dem flammenden, verblühenden! . . . Ivette mich an dich mit der lichtver sengten Locke deines Haares, fange mich ein in dein herzblaues Adernetz, kühle mich zum äußersten Dunkel mit deiner weißsalzigen Haut, verbrenne mich in deiner Mohnblülen- glut, der glühenden, sterbenden, kette mich, Gast unsteter Sommer, an eine Ewigkeit! . . . Die Zeit steht still. Die Sonne geht auf, die Sonne geht unter. Der Regen netzt das weiße Fensterbrett. Die Gardine füllt sich mit dem Ton der Sternenbrandungcn. Die Turmuhr mißt die Vergänglichkeit aller Stunden in der erloschenen Zeit, bis die Tage des Sommers vorbei sind . . . Siehe, der Sommer ist dahin! Es ist bereits Herbst! Unsteter Somniersgast: wo ist deine Ewigkeit und meine Mohnblüten, die flam menden, verblühenden? Kühle Haut. . . heiße Herzen. Sommerwind über dem Norden.