Volltext Seite (XML)
Eben dieser Mann hatte aus patrioti schem Empfinden versucht, die „Eulen brücke“ anzuzünden, dieselbe, die man nun als Galgen für ihn benutzte. Sein Name war Carton Farquhar. Der Sergeant wippte etwas auf der Planke, um sich zu vergewissern, daß das Brett ordentlich kippen und nichts den Fall auf halten würde. Carton Farquhar sah noch einmal auf den gefährlichen Rand, auf dem er stand, und dann blickte er hinunter in den schäu menden Strom. Ein großes Stück Holz wurde dort gerade wie ein Korken hin und her geschleudert. Er folgte ihm eine kleine Weile mit den Augen und fuhr dann ärger lich zusammen, weil seine Gedanken so mechanisch hin und her w'anderten, anstatt sich mit seiner Frau und den drei Kindern zu beschäftigen. Wie glücklich war sein Leben gewesen! Es war zwar nur eine Ehe in begrenzten Verhältnissen, aber eine reine Liebesverbindung. Er hatte mit ehrlicher Arbeit schnell sein Glück gemacht; und dann kamen seine drei gesunden Kinder. Sein Haus war ein Muster an Frieden und Eintracht. Ihre kleinen Familienfeste, Kindergeburtstage und Weihnachten! Vor einer Woche noch schien sein Glück das Schicksal herauszufordern. Und jetzt? Würde sein Weib die Schwierigkeiten der Arbeit überwinden können? Ach, seine Kinder waren noch zu jung! Aber be dauern konnte er doch nichts, nein. Einer inneren Stimme folgend hatte er seine Pflicht als „Bürger des Südens“ getan. Die Zerstörung der „Eulenbrücke“ wäre ein außerordentlicher Schlag für die Ar mee des General Lincoln gewesen. Aber da Farquhar kein Soldat war, wurde sein Unterfangen zu seinem Unglück als das eines Franktireurs angesehen. Ein Kriegs gericht hatte ihn einmütig verurteilt, mit vollem Recht. Und doch: Sterben müssen — sterben! Niemals wieder die Aermchen der Kinder mit den verschränkten Händen um den Nacken und niemals wieder wäh rend der Nacht den lieblichen, braunen Kopf seines Weibes an seiner Schulter zu fühlen! Um seine Tränen zu verbergen, — oder nur deshalb, weil er wenigstens in Gedanken bis zum letzten Augenblick bei seinen Liebsten sein wollte, — schloß er die Augen. Wie langsam diese letzten paar Minuten vergingen. Er dachte nach: „Wenn es mir gelänge, meine Hand gelenke frei zu machen, so könnte ich leicht mit dem Kopfe aus der Schlinge schlüpfen und in den Fluß stürzen. Dann würde ich unter Wasser weiterschwimmen und hätte so eine Möglichkeit, diese Spür hunde zu täuschen. Dann könnte ich heim finden zu Frau und Kindern!“ Verzweifelt suchte er seine Handgelenke zu lösen, aber der starke, dreifache Strick war feucht und unnachgiebig und hielt sie unbarmherzig zusammen. Am Ufer blitzte es durch die Luft. Der Hauptmann hatte seinen Degen gezogen! Der Sergeant sprang zur Seite — und die Planke stürzte hinab. Carton Farquhar fiel ins Wasser wie ein bleiernes Standbild. Er verlor das Be wußtsein. Ein schneidender Schmerz an Kehle und Handgelenk brachte ihn zu sich. Wo war er? Er empfand heftige Kälte, eine seltsame Kälte, die sofort seine Empfindungen wie der ganz in Gang brachte. Er erstickte fast, weil sein Mund voll salzigen Wassers war. Der Strick, der am Geländer befestigt war, mußte gerissen sein. Carlon Farquhar war in den Fluß gefallen, anstatt bau- 74