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liehen Ausgaben beschaffen könnte. Da bei geschah es, daß er seine eigenen An gelegenheiten vernachlässigte, so daß sein Vermögen wohl so ziemlich verschwunden war und eine beständig größer werdende Schuldenmasse sich anhäufte. Er hatte von seiner Gattin, einer bequemen und nicht allzu mageren Frau, eine einzige Tochter namens Ghlorinde. Die sah er wohl zu weilen an, wenn sie vor ihrem Nähtisch- chen am Fenster saß und sich mit irgend einer zierlichen Arbeit beschäftigte, und sagte: „Chlorinde, mein Töchterchen, du heiratest einmal einen reichen Mann, dann löst ihr unser Gut aus, und wir ziehen zu sammen aufs Land; da will ich meine letz ten Jahre in Ruhe verbringen.“ Nun geschah es aber, daß in Chlorinde sich Hans von Werder verliebte, der nur ein armer Jagdjunker war und weder zur zeit etwas besaß, noch eine Erbschaft oder ein einträgliches Amt zu erwarten hatte. Der Minister sprach mit seiner Tochter und sagte ihr: „Du weißt, daß ihr beide nichts habt. Ich habe mein Vermögen im Dienst aufgebraucht. Das bereue ich nicht, denn es ist die Pflicht des Untertanen, für den Glanz seines Fürsten zu leben. Aber was willst du nun machen? Heiraten könnt ihr nicht, denn von der bloßen Liebe wird der Mann nicht satt. Wollt ihr als ewiges Brautpaar leben? Sei vernünftig, ich spreche auch mit ihm, ich sage ihm: ,So und so, Sie haben Ihre geraden Glieder und sind soweit ein ordentlicher Kerl, das Gerede will ich nicht, vorläufig stecke ich meine Tochter ins Kloster, sehen Sie sich nach einem Mädchen um, die ein bißchen was hat, Sie können einmal eine Stelle als Forstmeister bekommen; wenn Sie sich danach halten, so geht es schon'.“ — Also Chlorinde kam ins Kloster. Der Minister sagte zu der Oberin: „Eine Bet schwester soll sie nicht werden, sie soll heiraten, danach richten Sie sich. Aber passen Sie auf, daß die Geschichte mit dem Werder ein Ende hat. Vorläufig bleibt sic hier.“ Eine Base Chlorindens befand sich be reits im Kloster, namens Doralise. Auch sie war die einzige Tochter ihrer Eltern, aber ihre Ellern waren sehr wohlhabend. Sie halten das Mädchen in das Kloster getan, weil sie zu sehr hinter den jungen Herren her war und ihr Vater sie noch nicht verheiraten wollte. Chlorinde weinte viel, und Doralise tröstete sie. Sie sagte: „Ich habe zuerst auch den ganzen Tag ge heult Ich sage dir, es ist spuklangweilig hier. Aber wenn man sich das merken läßt, dann passen sie bloß noch mehr auf. Ich tue, als ob ich ganz vergnügt bin. Ich habe einer Draht, damit kann ich das Schloß der Vorratskammer öffnen. Jeden Abend hole ich mir die Taschen voll getrockneter Pflaumen, die esse ich abends im Belt vor dem Einschlafen. Die Kerne spucke ich zwischen Wand und Bett.“ Chlorinde war ein verständiges Mädchen. Sie sah ein, was ihr Vater ihr gesagt hatte. Der Junker Hans war ihr wohl sehr lieb, aber sie halte schon selber ihre Zweifel gehabt, ob es wohl mit ihm etwas werden könnte, und nur weil er immer meinte, es werde doch gehen, hatte sie die Lieb schaft nicht aufgegeben; denn sie dachte natürlich, daß ein Mann ja in solchen Din- 56