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dauern darf; doch er ist der Situation, er ist dem ganzen ungeheuerlichen Fall nicht gewachsen. Ein wenig unsicher, ein wenig schüchtern beginnt er: „Ich habe Sie zu mir bitten lassen, Frau Sandmann Doch kaum hat der Rechtsanwalt dies Wort gesprochen, so springt der Mann auf, mit zwei Schritten steht er dicht neben der Frau und ruft mit einer Stimme, die vor Erregung heiser ist: „Sie heißt nicht Sandmann! Sie hat nie Sandmann geheißen! Sie heißt Römer, wie ich Römer heiße — sie ist meine Frau und wird immer meine Frau bleiben!“ Obwohl sein Gesicht dem ihren ganz nahe ist, wendet sich die Frau ihm nicht zu. Mit klarer, heller Stimme spricht sie gerade vor sich hin: „Ich heiße Sandmann, und ich war nie Ihre Frau, Herr Römer.“ Es ist, als ob diese harten, eiskalten Worte den Mann zur Resinnung brächten; er streicht sich mit einer schnellen Re- wegung das ergraute Haar aus der Stirn, atmet tief, geht auf seinen Platz zurück und fragt von dort, jedes Wort mit einem kleinen Pochen auf den Schreibtisch be tonend: „So habe ich also geträumt, wir haben also am r r. Juli 1912 nicht gehei ratet, wir wurden nicht nach allen Regeln des Gesetzes getraut, wir haben nie vor dem Notar einen Ehevertrag unter zeichnet?“ Die Frau bleibt ganz ruhig. „Die Trau ung und der Ehevertrag sind nichtig“, sagt sie. Gerhard Römer sinkt in seinen Stuhl. „Glauben Sie ihr nicht, Herr Rechtsan walt. Sie lügt! Doch ich lasse mich nicht betrügen, ich werde mein Recht durch setzen!“ „Aber meine Herrschaften!“ Endlich versucht der Rechtsanwalt die Leitung der Unterredung in die Hand zu bekommen. „So geht das nicht, so kommen wir nicht weiter. Ich habe Sie beide hierher ge beten, weil ich aus den schriftlichen An gaben Herrn Römers und aus den Ent gegnungen der gnädigen Frau nicht klar wurde. Ich bin überzeugt, daß die An gelegenheit viel leichter zu einer Lösung geführt werden kann, wenn wir sie ein mal ruhig und sachlich durchgesprochen haben. Ich betone: ruhig und sachlich. Ich bitte Sie deshalb, alle persönlichen Ge fühle für einige Zeit auszuschalten und mir die Tatsachen der Reihe nach zu erzählen. Vielleicht beginnen Sie, Herr Römer. Welche Ansprüche stellen Sie an die gnä dige Frau, und womit begründen Sie Ibre Forderungen?“ Der Rechtsanwalt hat so recht ge sprochen, wie Rechtsanwälte sprechen, korrekt, vernünftig und in einem mild be schwichtigenden Ton. Doch Gerhard Römer fügt sich nicht. Es gibt Dinge, die ein Mann nicht ruhig und sachlich erörtern kann. Es gibt Lei denschaften, die sich nicht ohne weiteres in den gleichmäßigen Fluß einer theore tischen, abgeklärten Debatte zwingen las sen. Mit erregten Lippen sagt er: „Ich will mein Recht! Ich will, daß sie wieder meine Frau ist!“ „Du willst mein Geld!“ . „Nein, ich will dich!“ Nun wendet sich die Frau zum ersten Male dem Mann zu. Sie mißt ihn mit einem langen Rlick und sagt dann, jedes Wort klar betonend: „Aber ich will dich nicht, ich habe dich nie gewollt.“ „Dann werde ich dich zwingen!“ Römer will aufspringen, seine Hand greift nach der Frau, doch der Rechtsanwalt faßt ihn