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Das Erlebnis 2Ö3fld)fefe Saöenbrf ©rün g ■ 1 M. WACHTEL, BERLIN W57 meines Neffe Karl Von Arthur El oesser I ch gestehe, daß ich nicht gerade ent zückt war, als mir von der ostpreußi schen Universität, wo er seinen Dok tor mit Auszeichnung bestanden hatte, mein Neffe Karl angemeldet wurde. Ich führe nicht gern den Titel Onkel, der eine noch nicht verdiente Würde gibt, und ich habe auch weder Lust noch Zeit, junge Provinzialen in die Strudel des Ber liner Lebens einzutauchen. Als er wirk lich ankam, hat mich mein Neffe Karl in jeder Beziehung enttäuscht, auf so an genehme Weise, daß ich ihm das höchste Recht verlieh: sich unangemeldet an mei nen Abendtisch zu setzen und am Sonn tag sogar schon den Nachmittagstee mit mir zu nehmen. Ein Privilegium, von dem Karl zuerst einen diskreten, in den letzten Monaten fast gar keinen Gebrauch mehr gemacht hat. Alle meine alten Freunde, alle meine jungen nachsichtigen Freundinnen, an die ich Karl weitergab, waren von seiner Liebenswürdigkeit, von seinen guten Manieren, von seinen gesell schaftlichen Fähigkeiten so entzückt, daß ich selbst für sie immer entbehrlicher zu werden schien. Mein Neffe Karl hat mir das Leben nicht schwerer, sondern leichter gemacht. Was ich nie für mög lich gehalten hätte: trotz eines nur noch im Lustspiel erlaubten Gebrauches seines heimatlichen ostpreußischen Dialekts fand er augenscheinlich die Gunst der Frauen. Auch der Reifen, der Wählerischen, der Kennerinnen, und trotz seiner musterhaf ten Diskretion habe ich ihn fast im Ver dacht, daß er irgendwo früh genoß, wo 240