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Nun liege ich im Bett, mit geschlosse nen Augen, und höre doch alles. Der alte Doktor kommt, nimmt meine Hand in die seine (die ist groß und ruhig und warm), macht ein ernstes Gesicht, murmelt etwas in den weißen Bart, schreibt eine Arznei und geht. Die Mutter läuft aufgeregt hin terher, öffnet leise die Tür, Summen und Lärm schlägt hindurch, dann ist alles stumm. Sie muß zu den Gästen, sie haben es ja kaum gemerkt, und so bin ich allein. Plötzlich geht die Tür auf, ich schließe rasch die Augen. Es sind Vaters Tritte. Kommen ganz leise, tasten sich zum Bett, eine Minute steht er schweigend, fällt dann aufs Knie, beugt sich über die Kissen. Eine Träne fällt heiß auf die zitternden Hände. Ganz leise, zärtlich, spricht er mei nen Namen, noch einmal, kaum hörbar, und ist hinaus. Langsam verstummt drinnen der Lärm. Grau kommt die Dämmerung und legt sich schwer über die weiße Decke. Es wird Nacht. Was ist geschehen? Ich weiß nicht Ein Brennen ist hinter der Stirn, eine Mü digkeit. Ich möchte schlafen. Unruhig drehe ich mich auf die Seite, auf den Bauch: immer das gleiche Bild, immer breit voll Fleisch, Hände, die miteinander ringen, nach mir greifen, zur Kehle, bis die schmalen kommen, die kranken, wei ßen — plötzlich beginnen sie zu beben, spielen auf unsichtbaren Saiten, und die ändern sinken zurück, lautlos in die Erde, und nur die beiden bleiben, zwei runde, dunkle, brennende Steine darauf, an gol denem Reif, zwei Augen, kreisrund, die sich drehen. — Ich halte es nicht mehr aus, schlüpfe in die Schuhe, reiße das Fenster auf, einen Mantel um den zitternden Leib, hinaus in den Garten. Der Himmel ist bedeckt. Kein Mond, kein Licht. Ein feiner Schleier, ein dünner, feuchter Nebel liegt in der Luft, hüllt alles ein, löst alles auf. Es fällt kalt und naß über den Leib, ein Zittern faßt mich: trotzdem. Was will ich nur? Irgendetwas treibt, von selbst, schiebt mich fort, Blut gegen meinen Willen, stärker als ich. Nun bin ich am Ende des Gartens. Die Bäume, die weißen Blüten leuchten fahl, die Luft hängt schwer. Ich stehe still, der Atem keucht, die Hand tastet blind gegen die Mauer. Ich will umkehren, zurück, ins warme Bett, ruhen, Ruhe haben, end lich schlafen, da — rutscht etwas die Mauer herunter, bewegt sich auf mich zu, mitten im Weg. Ich will schreien, 'die Knie be ginnen zu zittern, die Kehle schnürt sich zum Ersticken, — da höre ich ganz leise meinen Namen. Ich bleibe stehen, der Atem fliegt. Ich nehme alle meine Kraft zusammen, blicke hin: zwei große schwarze Augen kommen immer näher, stehen vor meinem Gesicht, starren in die meinen. Jochen! In diesem Augenblick weichen die lan gen Gespensterschatten der Bäume, wer den blau und stark: der Mond ist rund und hart an einer Stelle durchgebrochen. Da steht Jochen vor mir, sein Gesicht ist weiß, das dunkle Haar wild in der Stirn, die schwarzen Augen flackern, aber ein Lächeln zuckt über den bleichen Lip pen, irr in Zärtlichkeit und Schmerz, und eine heisere, fast versinkende Stimme sagt: „— aber ich sehe dich, ich hin doch wenigstens bei dir, ich, ich — liebe dich, du —“