DIE HEIMLICHEN G RATULANT E N Zur iS^. Ti^iederkehr von Beethovens Geburtstag am 16. Dezember von ARTHUR SCHURIG in grauer Dezembermorgen. Vom Sankt Stephan schlägt es sechs Uhr. Beethoven, der Frühauf steher (in seinem Homer ist die Stelle an gestrichen: Vieles Schlafen ist schädlich), schaut aus dem Fenster seiner Arbeits stube — hinaus in die Welt. Noch schim mern die Sterne über der ändern Häuser reihe der engen Rochusgasse. Eine Stelle aus Kant fällt dem Einsamen ein, wie immer heim gleichen Anblick: Zwei Wun der muß der Mensch unbedingt anerken nen, das moralische Gesetz in sich und den gestirnten Himmel über sich. Sich dem Fenster abwendend, schreitet er den Reihen seiner Bücher zu. Seit die vollkommen gewordene Taubheit einen hohen Wall um ihn errichtet, sind sie ihm mehr noch als zuvor die wahren Freunde. Während die mürrische alte Wirtschaf terin im Zimmer in einem retortenähn lichen Ungetüm den Kaffee bereitet (die Tasse genau abgezählt zu sechzig Boh nen), entnimmt der lang Wählende seiner Bibliothek ein — Gebetsbüchlein. MARIA MAGDALENA VAN BEETHOVEN steht auf dem Vortitelblatte. Der seligen Mutter Eigentum! Der Sohn erinnert sich nicht, es je in den Händen gehalten zu haben, ln An dacht schaut er auf die unerwarteten Schriftzüge; sie sind ihm heilige Mah nung, der vor dreiunddreißig Jahren Da hingegangenen innig zu gedenken. Man schreibt das Jahr 1820 ; es ist Donners tag, der 16 . Dezember. Wie merkwürdig! Beethoven blättert im Büchlein, und am Ende, auf der Innenseite des Einbands, grüßt ihn die nämliche liebe Handschrift. Da sind Familiengedenktage vermerkt, unter anderen: Mein Sohn Ludwig, ge boren Sonntag, den 16. Dezember 1770. Es ist also genau fünfzig Jahre her, murmelt der Erschrockene, daß ich über die fragwürdige Erde wandle! Ein Zufall mahnt mich daran. Nein, es gibt keinen Zufall; alles ist vorbestinnnt. Ich ein Sonntagskind? Bin ich das? Bin ich das im wahren Sinne? Die Mutier verkündet es mir. Es bedarf nur des Glaubens. Ja, ich brauche nur an mein W e r k zu glauben. Habe ich nicht schon Großes geschaffen? Und heute stehe ich auf der Höhe meines Lebens. Es sei! Als einziges Geburtstagsgeschenk nehme ich diesen glücklichen Glauben an. 192