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ten dich gesehen haben. Dann hinter brachte man mir, daß du mit dem Arzt in Tsingtau gesehen worden warst — ich raste vor Wut, doch ich war zu schwach, um mich zu rächen. Man bot mir an, mich einer Expedition in die Mongolei anzu schließen, ich tat es und zog monatelang durch die Wildnis. Der Krieg überraschte mich in Durma, ich konnte nicht mehr nach Tsingtau zurückkehren.“ „Drei Monate wartete ich auf ihn,“ fährt die Frau fort, „dann erfuhr ich durch die Gesandtschaft in Peking, daß eine Expedition deutscher Kaufleute in Tschacharv von Räubern überfallen und getötet worden sei. Man vermutete auch ihn unter den Opfern. Nun hielt mich nichts mehr in China; ich reiste nach Tientsin, legte den erborgten Namen Ma thilde ab, nannte mich wieder Irene Gade und fuhr mit einem englischen Dampfer in die Heimat. Der Krieg begann. Ich nahm eine Stel lung in Berlin an. Und die Zeit und die Ereignisse waren so stark, daß mir das, was ich in China erlebt hatte, bald nur wie ein ferner, unwirklicher Traum er schien. Als dann meine Schwester, die richtige Mathilde, ihrem Leiden erlag, war für mich meine Verbindung mit Römer ausgelöscht. Meine Schwester war tot, ihn mußte ich für tot halten; ich vergaß die nichtige Ehe, wollte sie vergessen. Ich war Irene Gade, ich war frei.“ „Auch ich meinte, frei zu sein“, sagt Römer dem Anwalt. „Ich ließ noch wäh rend des Krieges durch einen Schweizer Freund in Deutschland Nachforschungen nach meiner Frau anstellen und erhielt die Nachricht, daß es in Hamburg keine Ma thilde Römer gab, daß aber Mathilde Gade im Jahre 191 5 gestorben sei. Trotz allem, was geschehen war, trauerte ich um sie, die ich für meine Frau hielt. Wie hätte ich den Betrug auch ahnen sollen, der an mir verübt worden war!“ „Ich war frei,“ fährt Irene fort, „und drei Monate vor Kriegsende fand ich den Mann, der mir bestimmt war. Ich lernte den Bankdirektor Erich Sandmann in einem Kurort kennen, wir tanzten und spielten Tennis miteinander, er machte mir, dem Fräulein Irene Gade, trotz sei ner vierzig Jahre wie ein Jüngling den Hof. Wir verlobten uns im September, und ich heiratete ihn ein paar Wochen später. An seiner Seite verlebte ich zwei Jahre voll eines innigen, ungetrübten Glückes. Was ich mir immer ersehnt hatte, wurde mir zuteil — ein Kind, ein Knabe. Als Fritz drei Jahre alt war, traf uns das große Unglück. Wir machten eine Autotour durch die Dolomiten. Es war ein überheißer Tag, und mein Mann saß am Steuer. Plötzlich sank er in den Sitz zurück — wie die Ärzte meinen, von einem Sonnenstich getroffen—; führerlos jagte der Wagen weiter und überschlug sich einen Augenblick später, an einen Meilenstein anrennend. Ich erlitt leichte Verletzungen, doch mein Gatte war tot Seinem Andenken und der Erziehung unseres Sohnes lebe ich seitdem. Nichts, nichts kann mich davon abbringen!“ Gerhard Römer steht auf, wendet sich Irene zu und sagt: „Du wirst dich fügen müssen. Ich bin dein Gatte. Ich verlange, daß du mit mir kommst, daß das Kind in meinem Sinne erzogen wird und meinen Namen trägt. Du bist meine rechtmäßige Frau, deine Ehe mit Sandmann ist nich tig. Für mich ist sie nichts anderes als 146