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mathematischer Genauigkeit das betref fende Haus feststellen. Ich postierte mich also an dem betreffenden Sonnabend um 9 Uhr vor der Wohnungstür im 3 . Stock rechts dieses Hauses und wartete der Dinge, die da kommen sollten. Kurz vor 9 Uhr kam ein junger Mann die Treppe herauf und wollte an der Wohnungstür klingeln. Ich trat hervor, um mir den Jüngling anzusehen, und erkannte — den Stiefsohn der Dame, welche mir den Zettel gebracht hatte. Der junge Mann hatte riesige Spielschulden gemacht und war in Verbindung mit einem sehr berüchtigten französischen Sprachlehrer getreten, wel cher für Handels- und Industriepläne hohe Summen zahlte. Diesem lieferte er angeb lich gestohlene, in Wirklichkeit jedoch gefälschte Pläne, um mit den erhaltenen Summen seine Schulden decken zu können. Eine caesarische Methode, nur noch viel einfacher, ist die in der Überschrift zu diesem Artikel angewandte. Das Wort heißt dechiffriert „Geheimschriften“, und zwar wurde hier von den großen latei nischen Druckbuchstaben nur die untere Hälfte benutzt. Es würde zu weit führen, wollte ich die tausendfachen historischen Methoden, wie sie fast jeder große Staatsmann der vergangenen Jahrhunderte, Napoleon I., Richelieu, Mirabeau, Graf Cronfeld usw., für seine Zwecke erfand, erwähnen oder beschreiben, zumal eine solche Beschrei- bung gewisse mathematische Voraus setzungen verlangt, die nicht jedermanns Sache sind. So raffiniert sie auch aus gedacht sind, es ist jede Chiffre zu ent ziffern. Man hat tatsächlich noch keine Geheimschrift gefunden, die unlösbar ist, wenn auch zugegeben werden soll, daß manche nur sehr schwer zu lösen sind, wie z. B. jene Quadratchiffre, die mir vor zwei Jahren zum ersten Male vor die Augen kam. Ich besuchte einst einen mir gut bekannten Bankier, der neben anderen Vorteilen auch den besaß, daß er eine sehr hübsche, junge Tochter hatte, die er wie seinen Augapfel hütete. Ich weiß nicht mehr warum, jedenfalls war er auf die Männer, soweit sie als Freunde, Lieb haber oder Freier für seine Claire in Frage kamen, sehr schlecht zu sprechen und schloß das Mädchen „hermetisch“ von allem Männerverkehr ab. Ich be suchte ihn also eines Tages und be merkte auf seiner Schreibunterlage fol gende Zeichnung: Auf meine Frage hin sagte er: „Ach, wissen Sie, das ist so ein Geschmiere, das man beim Telephonieren so hinmalt. Hat gar keine Bedeutung. Sie müssen auch nicht hinter jeder harmlosen Sache etwas Kriminelles wittern. Das ist ja un heimlich! Das grenzt an Hysterie!“ Ich ließ ihn ruhig poltern und kopierte mir inzwischen naturgetreu diese Zeichnung. Nach drei Stunden hatte ich die Lösung dieses „Geschmieres“ gefunden, und nach dem ich drei weitere Tatsachen festge stellt hatte, war auch das ganze andere Geheimnis gelöst. Die festgestellten Tat- 108