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bildend. Dies ist sein namhaftester Zug. Wir sind gewiß, daß er nicht auf seiner heutigen Stufe stände ohne diese Eigen* schaft. Damit hat er eine neue Archi* tektur geschaffen, mit Orgelspiel — dem jetzt so vergessenen — der Kirche, und mit billigem Entree dem Theater Kon* kurrenz gemacht — und, wie man sagt, die Moral verdorben. Heute ist die Er* kenntnis da, daß viele seiner Eigen* schäften nicht dem Film selbst, sondern nur seiner Zeit angehören, und daß sie sozusagen nur Milieu* und Jugend* krankheiten sind. Der Film kann auch anderem dienen: der Belehrung und der Begeisterung. Wir wissen, daß er es kann. Doch ver* gessen wir nicht, daß er im Variete zur Welt gekommen ist. Er ist von niederer Geburt — von der Friedrichstraße neben dem Bahnhof. Es gilt, ihn höher zu züchten. Der bekannte Filmpionier Louis Lumiere erklärte kürzlich vor Presse* Vertretern, daß er demnächst in Paris seine neueste Erfindung des stereosko* pischen Films vorführen werde. Das Prinzip dieser Erfindung beruht darauf, daß vor den Sitzplätzen eine Glasscheibe angebracht wird, die dem Zuschauer die dritte Dimension eröffnet. Wer wagt, gewinnt. Friedrich Winekler < Tannenberg sprach kürzlich in einer Gesellschaft mit einer Berlinerin, die nicht wußte, wer er war. Es war von der Skandinavienreise die Rede, die Winckler*Tannenberg mit Prof. Leihau» sens Ensemble mitgemacht hatte, worauf die Dame ihn fragte, wie er es denn ge* macht habe, die notwendigen Devisen zu erhalten. „Wir haben ja jeden Abend gespielt", erklärte Winckler*Tannen* berg ruhig. Worauf ihn die Dame ent* geistert ansah: „Wie konnten Sie denn aber wissen, daß Sie immer gewinnen würden ?" Begabung. Im Stadttheater Al* tona besuchte der Bürgermeister Brauer eines Tages den Intendanten Friedrich Otto Fischer, um sich von ein paar neu engagierten Schauspielern Proben ihres Könnens zeigen zu lassen. Nach einer Vorführung eines Schau* Spielers, der sich durch seine Größe und seine laute Stimme besonders auszeich* nete, äußert sich Brauer entrüstet, „der Mann kann ja gar nichts!" Worauf Fischer erwidert: „Was wollen Sie? Der Mann hat Figur. Der Mann hat Organ. Wenn er noch spielen könnte, könnten wir ihn nicht be* zahlen!* * Der Schriftsteller Robert de Flers er* zählt aus seiner Heimat, dem Lan* guedoc: „Bei uns machen die Bauern ihr Testament folgendermaßen: ,Paul be* kommt joo Francs, Pierre auch . . . usw. . . . joo Francs behalte ich für mich . . .' Das heißt, für diesen Betrag sollen Messen gelesen werden. Jedes Jahr wird ein neuer Jesus ge* wählt, irgendeiner aus dem Dorf, und den müssen dann alle das ganze Jahr grüßen." Ein andermal erzählte der Autor von einem bekannten aufgeregten Herrn, den man beschworen hatte, bei irgend* einem Anlaß Ruhe zu bewahren. Aber schon nach wenigen Worten schlug er einem ändern mit der Faust mitten ins Gesicht: „Ich habe getan, was ich konnte ...", entschuldigte er sich. 582