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edler Rasse, ein Tier, zum Verlieben schön! Sein Kopf war voller kleiner gelber Flecke, süß, wie die Sommersprossen eines Schulmädchens. Dieses Tier gebärdete sich rasend. Es scharrte mit seinen Hufen, die Flanken flogen, und es suchte sich vom Strick um seinen Hals loszureißen. Auf der anderen Seite gegen das erste Morgenrot hob sich gespenstisch ein hoher Wagen. Die Türen waren geöffnet, und in dem durchfallenden Licht dieser beiden geöffneten Türen zeigte sich die Silhouette eines mächtigen Löwen. Er sah fast wie ein Teddybär aus, so dumm und ungeschickt. Mit seinen Pranken suchte er das Pferdchen zu berühren. Es war eine Liebkosung. Das Pferdchen, sich wie eine Dame benehmend, sprang auf, schlug um sich, fühlte sich aber sehr wohl, so viel Beachtung zu erlangen, wieherte fröhlich und wälzte sich auf dem Rücken. Der Löwe wurde immer zudringlicher, doch konnte er aus seinem Verschlag heraus das Pferdchen gerade noch ganz leicht berühren. Es war ein Tasten, ein Suchen, ein Kampf gegen die Schranken. Da brüllte der Löwe los, in verzweifelter Ein» samkeit. Gern hätte er das Pferdchen aus Liebe zerstückelt und im Blut seines Opfers liegend ein Triumphgeheul der Sonne entgegengesandt. Ein Pfiff erscholl. Der Löwe setzte sich mitsamt seinen Genossen in Bewegung, später ein Beispiel für Kinder und Schulbücher. Kleine Mädchen werden sagen: „Schau, Mama, warum läuft da der große Teddybär immer so auf und ab? „Der Teddybär möchte gern das kleine Kindchen fressen, weil es nicht immer artig ist! „Ach, Mama, laß mich doch vom Teddybären fressen, er hat sicher Magenweh, der böse, böse Teddybär!“ * Nina! Schon bevor ich auf der Welt war, habe ich dich geliebt (doch das fällt in mein Buch des Zustands, was du natürlich nie lesen wirst), ja, ich habe dich geliebt, liebe dich jetzt und in der Zukunft, die für mich nicht mehr besteht und sich auf löst, wie die Nebelstreifen unter den Strahlen der Morgensonne. •— Doch das sind alles Dummheiten. — Ich schreibe dies so ganz ohne Überlegung, um irgend etwas zu schreiben. Es ist späte Nacht und sehr schwül. Die Fenster meines Studios sind weit geöffnet, und das Zirpen der Grillen, das Tuten der Autos vermischt sich mit dem des Überseedampfers, der seine Ausreise antritt. Eine schwere, bittersüße, betäubende Luft herrscht in dem engen Raum. Der Urwald liegt nur wenige hundert Meter weiter, und von den schwarzen Zweigen lösen sich große Vögel, sie steigen langsam auf, und nachdem die letzten Autos den Platz verlassen haben, kreisen sie über demselben vor meinem Fenster, um in den Resten, die die großen Hotels vor die Tür werfen, ihr Mahl zu halten. Und andermal laß mich mit deiner Grippe zufrieden! (Aus den Tagebüchern des Dr. H. C. Blumer)