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uns hatte, zwei düstere Räume in rotem Plüsch mit gehäkelten Gardinen, dort hausten wir drei. Es fiel uns etwas leichter, als wir erfuhren, daß vor uns ein sehr bekannter Bankier samt Gattin und zwei erwachsenen Töchtern da gewohnt hatte, von denen die Zeitungen unter den Nachrichten aus der Gesellschaft meldeten, sie seien auf Reisen. In Wahrheit war ihr Haus in der Fünften Avenue zur Deckung alter Verbindlichkeiten untervermietet. Ich begann bereits ernsthaft, schäbig auszusehn, nahm mehr Mut zusammen, als ich je besessen, und ging den Leiter der Kreditabteilung eines feinen Geschäftes in der Fünften Avenue an, dessen Kunden wir früher gewesen waren. Ich brauche neue Kleider, werde aber nicht in der Lage sein, vor sechs, vielleicht vor zwölf Monaten oder noch später, zu bezahlen. Und dieser abgebrühte Kredit# geschäftsmann hörte meine unverhüilte Darstellung unserer Lage an, ich bekam meine Ausstattung und konnte der Welt wieder, gut angezogen, ins Gesicht sehn. Dabei waren wir der Firma zur selben Zeit eine längst überfällige Rechnung schuldig. Solche Dinge vergißt man nicht leicht. Tags darauf sah ich im Sonntagsblatt eine Anzeige: ,»Empfangsdame mit angenehmem Äußeren und guten Manieren gesucht. Fünfzig Dollar die Woche." Man hatte sich an ein angesehenes Stellen# Vermittlungsbüro zu wenden. Als ich hinkam, war der große, kahle Raum zum Bersten voll Be# werberinnen. Ich wurde blaß. Der Begriff,, angenehmes Äußere" war offenbar mit der größten Weit# herzigkeit ausgelegt worden. Nach ein paar Stunden kam ich vor. Es handle sich um einen Posten in einer bekannten Tanzschule, sagte die Büroleiterin. ,,Sie wären gerade das Richtige dafür. Aber in den ersten paarWochen müßten Sie Tanzunterricht geben. Ohne Gehalt. Würde Ihnen das passen?" Bei fünfzig Dollar nach ein paar Wochen paßte es mir natürlich. Außerdem versicherte sie mir, es sei hochanständig, meine Familie werde also nichts dagegen einzuwenden haben. Als eine von drei Auserwählten aus der ganzen Schar ging ich hin; diesmal hatte mir die Anschrift Park Avenue doch gute Dienste getan. Eine Woche lang machte ich das unbezahlte Training mit, tanzte von neun bis fünf, fast ohne Pause. Es war anstrengend, aber ein bißchen Spaß war doch dabei. Auch andere Collegeabsolventinnen waren dort. Übrigens auch Absolventen. Eines Tages fragte ich den Herrn und Gebieter der Tanz# schule, wie lange es noch dauern könne, bis ich Empfangsdame würde. Ich wußte, daß ich ihm nicht besonders sympathisch war, aber auf diese Antwort war ich denn doch nicht gefaßt: „Bei den ändern dauert es zwei, drei Wochen, bei Ihnen kann es ein halbes Jahr sein, vielleicht auch —" Geknickt fragte ich, warum. „Sie haben keinen Scharm und keine Persönlichkeit", sagte er. Es gelang mir trotzdem, nach Hause zu finden. Durch eine Tanzschulkollegin bekam ich einen anderen Posten. Er ist nicht überwältigend be# zahlt, trägt aber wenigstens die halbe Miete und etwas drüber für unsere alten Mietschulden. (Da wir unter einer moralischen Verpflichtung dem Hausherrn gegenüberstehen, können wir nicht kündigen, bevor sie nicht abgetragen sind. Manchmal ist es schwer, zu einer Menschenklasse zu gehören, die an moralische Verpflichtungen glaubt.) Außerdem kommt uns mein Gehalt sehr gelegen, denn die Portiers und Liftmänner in unserem Wohnhaus in der Park Avenue begannen ein be# unruhigendes Problem zu werden. Weihnachten 193 i brachten wir es noch zuwege, unsere Pflicht und Schuldigkeit ihnen gegenüber zu erfüllen, wenn auch nicht so großzügig wie einst. 1930 hatte ic einen nicht der Rede werten Posten, und meine zehn Dollar Weihnachtszulage gingen an die rei Portiers, drei Liftmänner und die Leute vom Lieferantenlift. Für dieses mühsam zusammen# gesc arrte Weihnachtsgeschenk empfingen wir den herzlichsten Dank und die schiefsten Blicke. etzte Weihnachten war es etwas besser. Allerdings können wir keine Trinkgelder geben, wie wir ^Öc ten. Darum huschen wir unauffällig durch den Hausflur und tun, als seien wir nicht vor# 311 r? L ^ e f CS * St sc ^ wer * zu tl *n, als sei man nicht vorhanden, wenn ein stimmgewaltiger Kassierer om e trizitätswerk das Stiegenhaus hinauf brüllt, daß wir ihm soundsoviel seit soundsovielen Mona# ten schuldig sind. — Genug von alledem! ^ ^ Denke einmal an Deine L. Zet ^ mu ß aber sagen: allmählich scheint mir das Leben wieder lebenswert. Manchmal, lange Leich atte ^* e S r °^ ten Zweifel, und manchmal schien mir das ganze Leben ein sinnloses jv- e §^ n £ n * s - Ich sehe ein, wie viele überflüssige Bekannte unsere Cocktails weggetrunken und d F ° nvers ^°n gestört haben. Das Leben ohne sie ist bequemer. Was liegt mir daran, ob jemals macht ' l g nS *. w * ec ^ er kei Tisch erscheint! Ich habe die Entdeckung gemacht, daß es mehr Spaß schna * en ^ ^ ^ utter zu verdienen, als einer Freundin ihren Freund wegzu#