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Sonntagsessen lud oder wir Cocktails reichten (aus Vorkriegsbeständen, denn damals, während der Prohibition, hätte es schweres Geld gekostet) — begnüg* ten wir uns für die folgende Woche mit halben Rationen. Aber es war doch der Mühe wert. In den ersten Monaten beantwort tete ich so viele ,,Offene Stellen'' und erinnerte mich so vieler ,,lieber alter Freunde des Hauses“, daß sich meine Bewerbungsschreiben geradezu zu ei* nem Formular entwickelten. Aber meine Anschrift in der Park Avenue und mein Mangel an Praxis machten jede kleinste Chance zunichte. Die einzigen Antworten, die ich bekam, stammten von Firmen, die meine ge* sellschaftlichen Beziehungen ausnützen zu können hofften. Wenn sie geahnt hätten, daß es meinen ,,gesellschaft* liehen Beziehungen“ genau so trostlos ging wie uns! Unsere meisten Freunde wären faule Kunden für diese Moden* salons oder Antiquitätenhandlungen ewesen. Wir beschlossen einmütig, nichts mehr zu veräußern. Die spärlichen Reste hatten Gefühlswert. Aber meine Schuhe waren von der Postensuche durchgetreten, und wiewohl ich maschineschreiben gelernt hatte, gab es offenbar nichts maschinezuschreiben. Endlich durchschaute auch Papa, wie ein Erwachender, die Lage, und wir mußten ihm die halbe Wahrheit gestehen, ,,daß ein Teil unserer Reserven aufgebraucht sei“. Und dann beschlossen wir, die Wohnung in Untermiete zu vergeben. Es war eine wüste Zeit. Von neun Uhr morgens bis neun Uhr abends ging es bei uns weniger friedlich zu als auf einer'Untergrundbahnstation nach Sechsuhrladenschluß. Scharenweise kamen die Leute, daß wir nicht einmal zu baden wagten, weil möglicherweise jemand gerade das Bad besichtigen wollte. Drei Wochen mußten wir der schonungslosen Kritik wildfremder Leute standhalten, bis es uns gelang, einen Untermieter für kurze drei Monate zu finden. Die Leute hatten vorzügliche Referenzen. Sie gehörten zu jener Kategorie, die teure Wohnungen gemietet hatte, als die Kurse gerade auf einem Wellenberg angelangt waren, und nun verzweifelte Anstrengungen unternahm, durchzuhalten. Sie mußten die Miete im voraus bezahlen, aber davon hatten wir nichts, denn sie zahlten nicht viel mehr Untermiete, als wir für die Hauptmiete, und der Überschuß ging bis auf den letzten Cent an den Hausherrn zur Verrechnung auf unseren Mietenrückstand, was schließlich auch ganz in Ordnung war. Wir hatten gedacht, diese Untermieter seien eine kleine Familie. Sie zogen jedoch, fünf an der Zahl, ein: die Eltern, zwei kleine Jungen und eine riesige Bulldogge, die die Beine unserer früh* viktorianischen Stühle benagte. Die Jungen begnügten sich damit, auf unseren Teppichen Rollschuh zu laufen, die Tischplatten abzuschrauben und die Lampenschirme als Zielscheiben zu benützen. Später brachten wir heraus, daß die Leute den kostspieligen Unterricht der beiden Söhne in einer fashionablen Knabenschule in der Weise bestritten, daß sie ihre eigene Wohnung um einen gigantischen Betrag an einen reichgewordenen Kurzwarenhändler weitervermieteten und mit der Differenz zwischen dieser Mieteneinnahme und dem, was sie bei uns die Untermiete kostete, das Schulgeld bezahlten. (Dabei pflegte die Dame nur mit höchster Geringschätzung jenen Plebejer zu erwähnen, der doch in Wirklichkeit so viel für ihre Kinder tat!) Das Lustigste kam noch. Wir mußten auch irgendwo wohnen. Ich hatte damals einen winzigen Posten, Mama mietete zwei Zimmer bei einer überspannten Dame, die übrigens viel Geduld mit ,,Der Wolkenkratzer Zeichnung Rudo 559