PRIVATLEBEN DER VENUS VON MILO Von SIGISMUND v. RADECKI ie war anfangs eine glutflüssige Masse von Kalziumkarbonat. Und zugleich eine Idee, die irgendwo außer Zeit und Raum , .west c' *. Eines Tages kristallisiert die Glutmasse zu Marmor, unter ungeheurer Dampfentwicklung. Darauf ver< gehen Millionen Jahre, was für Kristalle und Ideen gar nicht langweilig ist, sondern vorüberschwebt wie ein moment musical . . . Darauf kommt ein Grieche, gewahrt den Stein und schaut in ihm den einen Körper, den er noch nie erblickte: ,,So wird das Wunderbild der Venus fertig: Ich nehme hier ein Aug , dort einen Mund, hier eine Nase, dort der Brauen Rfind. Es wird Vergangenes mir gegenwärtig“ . . . Seine Idee sieht er hinausverbannt in den Marmorblock, und er bewaffnet sich mit Hammer und Meißel zum Befreiungswerk! Mit Leidenschaft bricht, splittert und feilt er die Steinkruste vom atmenden Leibe weg, immer in der entsetzlichsten Angst, ihn zu verletzen. Nun steht sie da. Sie wird bekränzt, angebetet, geraubt, verkauft, umgestürzt, vergessen, wieder entdeckt. Bei einem Handgemenge stürzt sie ins Meer, wird mit einer Seilwinde weiß und tropfend emporgehoben wie Aphrodite aus dem eeresschaum, endlich unförmig mit Werg umwunden wie ein Brandverunglückter und nach Paris geschafft. Nach Lutetia, der ville lumiere, in die Stadt des Drecks und des Lichts.