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Paris wirft sprühende Lichtfontänen über Straßen und Plätze. Windmühlen! flügel rotieren glühend. Tausend schlanke Beine funken ihren süßen Wadensinus in die Nacht. An der Ecke, da der Schaffner im Bienenkorb des Busses, der von Montmartre ins Quartier Latin gondelt, das kürzeste, hinreißende Lied von Paris singt: ,,Les Grands Boulevards!“, versteht jeder, daß Lichtreklame hier, mit einem Romantitel von d’Annunzio zu sagen, ,,L’enfant de volupte“ ist. Geboren wurde dies übernächtigte Baby im zweiten Kaiserreich. Heute ist es ein verblaßtes Wunder» kind, sein selbstgewähltes Pseudonym heißt: La ville lumiere. Berlin, das sparsamer an seinen drei Zentren Aiex, Friedrichstadt und Kur» fürstendamm an die Rampe tritt, ist an lauen Regenabenden, wenn die Ölpfützen auf dem Asphalt zu koketten Spiegeln werden, verführerischer als am rauhen Tag. Das leichte Nachtkostüm .steht der Stadt des grauen Arbeitszivils für ein paar Stunden um Mitternacht gut. An der Weidendammer Brücke schwimmt Abend für Abend die Spree völl Konfetti: Lichtreklamen, die ins Wasser gestürzt sind und von einem kleinen Wind über den Wellen pulverisiert werden. Lichtreklamen sind die Ausrufezeichen des Nachtbetriebs der großen Städte. Sie sind buntilluminierte, nächtliche Inseratenseiten, die den Häusern auf Bauch und Rücken kleben. Wenn der Regisseur Natur sacht über Dämmerung auf Nacht umschaltet, greifen ihm ein paar Techniker in die Apparatur seines veralteten Beleuchtungssystemes und lassen mit zwei, drei Knipsen eine Welt anders und eigentlich strahlender auferstehen, die eben in Schatten versinken sollte. Noch vor wenigen hundert Jahren lobten Reisende in einer Stadt, in der sie von Postkutsche zu Postkutsche die Zeit im „Goldenen Stern“ vertrödelten, den fremden Magistrat, wenn er trübe Funzeln an die Kante der nicht vorhandenen Bordsteige stellte, wenn die Gäste so die Fackelträger sparen konnten, ohne die eine Dame von Welt nicht gegen Abend die Gassen der gefährlichen Dolchstiche passieren konnte. Damals gingen die Hühner mit den Menschen zu Bett, heute erwacht der Städter am Abend zu einem neuen Leben . . . Stammbaum. Ein eingebildeter französischer Adliger wollte einmal Alexander Dumas, den berühmten Romanschriftsteller, der von einer Negerin abstammte, in Verlegenheit bringen: „Ihr Herr Vater, der General, Herr Dumas, war doch ein Mulatte.“ »So ist es , antwortete Dumas. „Und Ihr Herr Großvater?“ fragte der Adlige weiter. „Ein Neger war er, Herr Graf , gab Dumas freimütig zu. „Und Ihr Urgroßvater, wenn ich weiter fragen darf?“ „Der war ein Affe, lieber Herr , rief Dumas, der die Geduld verlor, „mein tammbaum fängt nämlich dort an, wo Ihrer aufhört!“ A. H. L. 542