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Literarischer Querschnitt v. H. Menschen, die zu Hause keine Bibliothek haben, bringen sich um unendlich viele genußfrohe Stunden, sie empfinden die Einsamkeit stärker als jene anderen, deren Bücherschrank Bände geistvollen Inhalts aufweisen. Und einen der rührendsten Anblicke gewährt eine Hausbibliothek, in welcher die Bücher ungeordnet, d. h. der Größe und dem Umfang nach aufgebaut, neben einander stehen. Tragisch hingegen erscheint der Anblick eines derart gepfleg ten Buchbestandes, bei dem die Pflege allein im Einband hegt, die Bücher wie kostbare Nippes . . . rühre mich nicht an! . . . architektonisch geschmackvoll gruppiert aufgebaut wurden. Zerlesene Bücher haben ihren Beruf erfüllt, zer- lesene Bücher sind eine Ehre für den Dichter des zerflederten Buches . . . auch dann, wenn sie nicht in der „richtigen Rubrik“ stehen, etwa Karl May und Goethe brüderlich vereint sind. Greif nur hinein in den Bücherschrank, wo du hinfaßt, ist es interessant, müßfta man frei nach Goethe sagen können. Auch wir wollen einmal un geordnet, wahllos Werke aus der Bibliothek herausgreifen: Da ist zuerst der Roman von Kuno Felchner, „Der Hof in Masuren“ (Verlag J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger, Stuttgart und Berlin), dieses glasklar geschriebene Werk über die Tragödie in einem kleinen masurischen Bauerngehöft. Oft sind die Szenen mit einer Härte hingesetzt, ehrlich und ungeschminkt, wie das Leben nun einmal ist. Nur dem äußeren Gewände nach, nur dem Aufbau entsprechend, ist diese Dichtung ein Roman ... in Wahrheit wirkt sie wie ein Drama, wachsend von Szene zu Szene, erschütternd von Akt zu Akt. Nein, dieses Buch ist kein land läufiger Roman ... es ist eines jener Werke, die einen Verlust in der Lite ratur bedeuten würden, wenn sie nicht geschrieben worden wären. In dem Dichtner Felchner lebt eine Kindheitserinnerung fort. Als Achtjähriger las er, gewiß ohne es zu verstehen, den Othello von Shakespeare. Und der aufwühlende, der alles zerreißende Geist eines Othello lebt in seinem Roman helden fort, wie das Leid einer Desdemona in der weiblichen Hauptrolle er greifend zum Ausbruch kommt. Ein Erstlingswerk ist dieses Buch, ohne daß man auch nur in irgendeiner Zeile, in irgendeinem Entwurf die Schwäche 210