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So sehen Henry Ford zwei Kontinente auf ihre Weise. Lassen Sie mich er zählen, wie ich ihn zum erstenmal sah. Ein alter Freund meines Kaiserlichen Großvaters, den ich vor mehreren Jahren in New York besuchte, hatte mir ein Empfehlungsschreiben nach Detroit mit gegeben, woraufhin ich auf das freundlichste von der Ford-Motor-Company aufgenommen wurde. Ein junger Sekretär aus dem persönlichen Stab des Herrn Ford holte mich an der Bahn mit einer großen Lincoln-Limousine ab und brachte mich zunächst nach dem „Dearbom Country Club“, den Mr. Ford für seine Be amten errichtet hat. Ein einfaches, aber höchst komfortables und geschmackvoll eingerichtetes Zimmer wurde mir angewiesen, und man bedeutete mir dabei, daß ich in allem Mr. Fords persönlicher Gast sei. Am folgenden Tag gegen Mittag holte mich mein freundlicher Begleiter ab und wir fuhren gemeinsam zum Laboratorium, wo auch die Privatbüros von Henry Ford liegen. Ich muß gestehen, daß ich ein Gefühl der Beklemmung kaum unterdrücken konnte, den Augenblick sehnsüchtig erwartend, da ich dem großen Manne vorgestellt würde. Aber schon beim Betreten der kleinen, intimen Ein gangshalle verließ mich das unangenehme Beklommensein und machte einem Gefühl der Heiterkeit und des Wohlbefindens Platz. Man ging durch eine Glastür, dann ein paar Schritte über einen Gang, noch eine Glastür öffnete sich, und plötzlich befand man sich einem großen Schreibtisch gegenüber, auf dem ein sehniger, kleiner grauer Herr saß, der die Beine lustig herabbaumeln ließ und ein freundlich mit grauen Augen anstrahlend sagte: „Hallo, there is our young man from Ger- many!“ (Hallo, da ist ja unser junger Mann aus Deutschland). Diese Art der Begrüßung war so unglaublich natürlich und unkonventionell, daß ich mich am liebsten gleich zu dem Alten auf den Tisch geschwungen hätte, um auch meine Beine baumeln zu lassen und ihm dabei herzhaft auf die Schulter zu klopfen. Später erfuhr ich, daß die Menschen auf Henry Ford nur zweifach reagieren: entweder unterliegen sie sofort seinem Scharm, oder sie fühlen sich von ihm abgestoßen. Seit dieser Begrüßung gehöre ich zu den ersteren, deren Zahl nicht unbedeutend sein soll. Ich brauche kaum zu erwähnen, daß Air. Ford genau den entgegengesetzten Eindruck auf mich machte, den ich erwartet hatte. Statt eines kühlen, autokratischen Industriekapitäns europäischen Musters sah ich einen äußerst fein gebauten, leb haften und fröhlichen alten Herrn, in einem bescheidenen, aber doch eleganten grauen Anzug, mit langem grauen Künstlerhaar und leuchtenden grauen Augen. Der Schreibtisch, auf dem er saß, gehörte nicht ihm, sondern seinem Privatsekretär, einem kultiviert aussehenden, jungen Herrn mit dunklen Haaren, der sich lässig in seinem bequemen Bürosessel wiegte. Die großen Fenster, aus denen man auf einen herrlichen grünen Rasen sah, in dessen Mitte sich ein kleiner See be fand, und die braune Holztäfelung verliehen diesem Bild einen besonders heiteren Rahmen. Damals, vor vier Jahren, als Amerika noch auf dem Höhepunkt seiner Prosperität stand, hatte man ja auch allen Anlaß zur Heiterkeit. Wie ich im Laufe meines Detroiter Aufenthaltes erfuhr, entstanden in den Fordschen Riesenwerken täglich mehr als 9000 Wagen. Und trotzdem wirkte dieses fröhliche, beinahe kindlich heitere Wesen des vielleicht mächtigsten und größten Industriellen, den die Welt je gesehen hat, wie eine Überrumpelung. Man konnte auch deutlich sehen, wie sich der nervöse kleine alte Herr an meiner Verwirrung ergötzte. Doch ließ er seinen jungen Gast nicht lange zappeln und begann sogleich ein angeregtes Gespräch. Als ob er mich schon immer gekannt hätte, fing er mit einer leisen und sympathischen Stimme, die außerordentlich modulationsfähig schien, zu plaudern 374