Das Genie vor der Tür der Alltäglich kommen sie: Bittsteller, Lumpensammler, Musikanten, Händ ler, Werber und Hausierer. Von früh bis spät ist die Türklingel in Betrieb. Manchmal ist es zum Tollwerden! Aber — „Not kennt kein Gebot“, erklärte gestern ein bärtiger Hüne und hielt mir seine riesige Tatze hin. „Sie haben mich in der Arbeit ge stört!“ fuhr ich ihn barsch an. „Ich bin arbeitslos“, entgegnete er sanft. Da mußte ich schweigen. Es war ein anständiger Kerl; er ver schonte einen mit der Fabel von der kranken Frau und den sieben hungri gen Kindern. Er begnügte sich mit einer Stulle und wünschte mir beim Abgang ein herzliches „Glückauf!“ Friede sei mit ihm. Bei dieser Gelegenheit muß schwergeprüfte Verfasser ge stehen, daß ihm unlängst eine Butterstulle durch die Ein wurfklappe „Briefe und Zei- • tungen“ zurückgegeben wurde. Dafür ein Lob dem Beschei denen! „Armer alter Mann bittet um eine kleine Gabe.“ „Bin auf der Durchreise, hätten Sie vielleicht eine kleine . . .“ „Bitte um eine kleine Unterstützung, bin ausge steuert.“ Immer heißt es: „kleine Gabe“, „kleine Unter stützung“. Erschütternd! Die ser Mangel an Ausdruck, diese Hilflosigkeit. Hausierer und Hausierer. Auch unter diesen gibt es Artige und Unver schämte. Man öffnet die Tür — und, siehe da: ein fremder Mensch verbeugt sich formvollendet: „Guten Tag, mein Herr. Darf ich Ihnen ein Stück Bade seife anbieten?“ Der Nächste aber stellt einem gleich eine Ladung Bürsten und Wischtücher vor die Füße. Es ist staunenswert, was alles an- geboten wird! Obst, Gemüse und Lampenschirme, Heftpflaster, Schnür senkel, Zwirn und Blumen, Klein holz, Bohnerwachs, Vogelkäfige und seidene Strümpfe. Jüngst kam sogar jemand mit Quarkkäse. Viele sind berufen — und nur we nige sind auserwählt. Von einem „Auserwählten“ soll berichtet sein. Er klingelte zweimal. Ich eilte zur Tür in dem Glauben, es sei ein Freund. Er war es nicht. Vor mir stand, militärisch stramm, ein Mann besten Jahrgangs. Unter dem Arm trug er eine Kiste, anscheinend eine ausrangierte Margarinekiste. Starr Werner Bürger