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Turg en j eff persönlich* Von E. de Goncourt 23. Februar 1863. — Abendessen bei Magny. Charles Edmond bringt Turgen- jeff mit, den ausländischen Schriftsteller von so zartem Talent, der die „Memo iren eines russischen Edelmannes“ und den „Russischen Hamlet“ geschrieben hat. Ein entzückender Koloß, ein sanfter, weißhaariger Riese, derwie ein gutmütiger Berg- oder Waldgeist aussieht. Er ist schön, hoheitsvoll schön, ungeheuer schön, in den Augen ein Stück Blau des Him mels und in der Sprache den Scharm russischen Tonfalls, jenen Singsang, in dem etwas vom Kinde mitklingt und et was vom Nigger. Gerührt und in guter Stimmung durch die Ovationen, die wir ihm bereiten, erzählt er ganz eigenartig von der russischen Literatur, die, wie er sagt, auf allen Linien mitten im Realis mus steckt, vom Roman bis zum Theater. Er erzählt uns, daß in Rußland sehr viele Zeitschriften gelesen werden und errötet bei dem Geständnis, daß er und noch zehn andere für den Artikel sechshundert Francs bekommen. Bücher hin gegen sind sehr schlecht bezahlt und bringen höchstens 4000 Francs . . . 2. März 1872. — Theophile Gautier, Turgenjeff und ich sind heute bei Flaubert zu Tisch. Turgenjeff, der sanfte Riese, der liebenswürdige Barbar mit seinem weißen Haar, das ihm bis in die Augen hinunter hängt, der tiefen Falte, die seine Stirn von einer Schläfe zur ändern durchzieht wie eine Ackerfurche und seiner kindlichen Art zu reden, bezaubert und „umkränzt“ uns, wie es russisch heißt, durch jene eigenartige Mischung von Naivität und Scharfsinn, welche so ver führerisch nur der slawischen Rasse eigen ist. Bei ihm kommt noch die Originalität eines ungewöhnlichen Verstandes und ein ungeheures, kosmopolitisches Wissen hinzu. Er erzählt uns von dem Monat im Gefängnis nach der Veröffentlichung des „Tagebuchs eines Jägers“, von jenem Monat, während dessen man ihm als Zelle ein Polizeiarchiv angewiesen hatte, dessen Geheimakten er studierte. Mit der Kunst des Malers und des Romanschriftstellers zeichnete er den Polizeichef, der ihn eines Tages, von dem Champagner, den Turgenjeff gespendet hatte, berauscht, mit dem Ellbogen angestoßen und gerufen hatte: „Hoch Robespierre!“ Dann hält er einen Augenblick in Gedanken versunken inne: „Wenn ich auf diese Dinge Wert legte, müßte man mir auf meinen Grabstein schreiben, wieviel dieses Buch zur Aufhebung der Leibeigenschaft beigetragen hat. Ja, nur das, sonst nichts . . . Der Zar Alexander hat mir sagen lassen, daß mein Buch ein Haupt anstoß zu seinem Entschluß war . . .“ * Zu seinem 50. Todestag am 3. September 406