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Zur Dramaturgenfrage Von Erhard Buschbeck W er etwa behaupten wollte, am deutschen Theater hätte es zuletzt keine Drama turgen mehr gegeben, den hätte das amtliche Jahrbuch der Bühnen belehrt, daß fast doppelt so vielen Herren dieser Titel gegeben war, als Theater verzeichnet sind. Welche Stellung aber hatten — von wenigen Ausnahmen abgesehen — die also Benannten! Dem Direktor mußten sie den unbequemen Verkehr mit Autoren abnehmen, die er nicht aufführen wollte, die Manuskripte erledigen, die er nicht einmal lesen wollte, und die Annahme von Werken hat der Dramaturg gelegentlich aus der Zeitung erfahren. Autoren, die auf ihren Ruf etwas hielten, waren geradezu beleidigt, wenn „jemand anderer“ als der Direktor ihr Stück las, und sie verstiegen sich sogar zu der Bedingung, daß der Allgewaltige nur per sönlich darin Einblick nehmen dürfe. Für den Schauspieler war der „Doktor“ ein Objekt, dem er vertrauensvoll auf die Schulter klopfte, falls der ihm gerade etwas Freundliches gesagt hatte, von dem sonst aber als ausgemacht galt, daß er vom Theater nichts verstünde. — Es ist die Krankengeschichte des Theaters (in fast allen Ländern übrigens), daß aus seinem funktionei len Leben ein Organ herausgenommen und außer Ver antwortung gestellt worden ist. Der Körper hat weiter gearbeitet, ja er hat, wie es von vielen Kranken bekannt ist, „überproduziert“, bevor er, lange vor seiner Zeit, zu sammengebrochen ist. Nachdem das Gleichgewicht der organischen Arbeit gestört war, zeigte sich an anderer Stelle bald eine Hypertrophie, das Leiden wurde vom Herzen aus kompensiert, am ehemals geraden Leib des Theaters setzte sich der Regisseur als Riesenkropf an und brauchte alle seine Kräfte auf, natürlich auch auf Kosten der geistigen Leistung. Es ist etwas nicht in Ordnung gewesen am sinnvollen Bau des Theaters, aber die mei sten Ärzte krittelten an den Folgeerscheinungen herum und schrieben auf die Krankentafel schwungvoll etwas von Schwellungen und Ausschlag, statt schlicht die organische Fehlerquelle zu nennen. -— Von Lessing bis Ihering sind die Aufgaben des Dramaturgen in der The orie klar umrissen gewesen, praktisch ist er aber eine unbekannte Größe gewesen, deren Nennwert abhängig war von der Zufälligkeit eines persönlichen Vertrauens verhältnisses und der sehr peripheren Begabung, dem willkürlichen Lauf der Dinge doch dieses oder jenes gestaltende Moment abzulisten. Es hat natürlich immer wieder Direktoren gegeben, deren lebendiges Verständ nis über dieses Vakuum einer Dramaturgenstellung hinwegzuhelfen versuchte, aber vorherrschend blieb ein höchst verwischter Begriff, dessen Auslegung jeweils persönlich überlassen war. Die Aufbauarbeit am Thea ter wird daher ihren Anfang nehmen müssen, indem sie dem Dramaturgen auch eine äußere Verantwortung Rud. Großmann, Hartung 404