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Arztsein eine Kunst, keine Wissenschaft — Größen, die er so gegeneinander auszuspielen hat, daß die resultierende Kraft „zufällig“ mit seiner Idee zusammen- stimmt und sie realisiert. Der Staatsmann „reitet“ auf den Parteien und läßt sich selbst von keiner reiten (Bismarcks „Spiel mit den Parteien“). Gewissenhafte Verantwortung vor Gott, dem Geiste seines Volkes und der Zukunft der Menschheit als solidarischem Ganzen ist gleich notwendig. Dieser sittliche Ernst und diese Gebundenheit an die majestätische Idee des Rechtes und an die objektive Rangordnung der Werte überhaupt unterscheidet den Politiker von dem „Spieler“ im moralischen Sinne 1 . Spielerhaftigkeit und sittlicher Leicht sinn ist das zweite Hauptlaster des Politikers als Staatsmanns. Im Gegensatz zum Gesinnungsparteiführer und Grundsatzpolitiker und zum „Ideologen“ ist der Staats mann verantwortlicher Politiker, politischer Künstler, der der Forderung der Stunde gerecht wird. Aus ihr wächst sein Werk heraus, und später werden die Grundsätze „abgeleitet“. Also sittlicher Ernst im Wollen — aber Spielfreude und Spielkunst in der Technik. Die Spielfreude des heldischen Typs überhaupt: in Sport, Kampf spiel, Turnier, Agon; im geistigen Sinne: in Dialektik 2 , Schlagfertigkeit, Ver wandlungskunst. Mit Recht ist die Politik als Schachspiel begriffen worden. Ein Grund, daß der Deutsche so wenig Politiker ist, ist sein „schwerer Emst“. Das ist der seelische Boden für die deutschen „Gesinnungsparteien“, für die mangelnde Kunst des beweglichen Miteinander- und Auseinandergehens, respektive die Ver härtung und Versteifung der Parteigegensätze durch Programme. Und doch heißt es heute: entweder — oder. Der gesinnungsmäßige politische Grundsätzeemst steht mit Machtscheu und Verantwortungsscheu in wesentlicher Verknüpfung. In einem Obrigkeitsstaat sind solche Parteien möglich — in einer parlamentarischen Republik nie. Die größte Frage der politischen Gegenwart ist: entweder Um formung des Parteiwesens oder Weg der Diktatur und der Restauration. Indirekt muß auch in einer parlamentarischen Demokratie der Parteiführer und der Par lamentarier ein selbstverantwortlicher Staatskünstler sein. Als Führer der Partei ist er nicht ihrem Programm unterworfen, er kann es verändern. Daher die Un möglichkeit, die demokratische Staatsform mit ausgesprochenen Gesinnungsparteien zu vereinbaren. Je mehr Selbstverantwortlichkeit und Machtwille gesteigert ist, um so tiefer muß Mitverantwortung für das Heil des Ganzen den Staatsmann innerlich binden. Tief soll der echte Staatsmann im Volke und seinem Geiste wurzeln. Bismarck wurzelte tiefer im deutschen Volke als die späteren Führer des Deutschen Reiches, z. B. Bethmann Hollweg, der im Gegensatz zu Bismarck, obgleich poli tisch demokratischer, spezifisch Bildungs- und Geistesaristokrat war und seinen ganzen Verwaltungsstab, den „Typus“, der hier zur Herrschaft kam, nach seinem Bilde aufbaute. Der Staatsmann als Staatskünstler unterscheidet sich vom Diplomaten wie der Stratege vom Taktiker. Die Diplomatie muß im Dienste der Staatskunst stehen. „Schlau und hintenherum“ — heißt diplomatisch. Zum Staatsmann aber muß man Vertrauen haben. Ehrlichkeit ist in der modernen Welt im Gegen satz zum 18. Jahrhundert auch die beste Politik, d.h. nicht nur sittliches Gesetz. | In Deutschland haben wir in der Politik eine Übersteigerung der Herrschaft der „Sachkundigen“. Sachkunde aber bringt auch Facheinengung mit sich, Ressort- 1 Hier gegen Max Webers Unterscheidung von Gesinnungspolitiker und Verantwortlichkeitspolitiker: besser Grundsatzpolitiker und Verantwortlichkeitspolitiker; gegen seine irrationalistische Einsetzung, sein „ich hab’s gewagt“, s. Max Weber, „Politik als Beruf“. München 1919. * Vgl. die politischen Debattierklubä in Oxford, Cambridge, aus denen die großen englischen Staats» männer hervorgingen. 390